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    Montag, 11. September 2023, 16:15

    Über die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur in der DDR

    Nein, ich hielt sie damals, als ich reichlich mit ihnen durch meine Verwandten in der "Zone", wie wir damals sagten, beglückt wurde, nicht für politisch indokriniert, sondern ganz überwiegend für sehr lesens- und unterhaltenswert. Lediglich das Buch "Die Schilfteichpiraten" sowie ein mir während eines DDR- Besuches in die Hände gefallenes Heft der Reihe "Frösi" beschäftigte sich mit Politik, aber dies waren Ausnahmefälle in meiner Kindersammlung von Druckwerken aus der DDR, zu denen u.a. "Fix und Fax", "Alfons Zitterbacke", "Lütt Matten", "Zäpfel Kern", "Grau- Eule" (ein Import aus der UdSSR), "Tatanka Yotanka", "Der schwarze Wolf", "Nik in dunklen Gängen", "Thüringische Fabeln" u.v.m. gehörten.
    Wie auch immer: an inhaltlich ansprechenden Kinder- und Jugendbüchern herrschte in der DDR nie ein Mangel, während das für diesen Zweck verwendete Papier zum Leidwesen vieler heutiger Sammler dagegen nicht immer "Weltniveau" hatte. Doch nicht nur die Fülle der verlegten Publikationen war beeindruckend, auch qualitativ mußten die Bücher keinen internationalen Vergleich scheuen. Was auch daran lag, daß der Literaturbetrieb in der DDR nicht derartigen kommerziellen Zwängen unterlag wie das Verlagswesen in der Bundesrepublik.
    Noch kurz vor der Wende wurde im Juni 1989 in der "Katholischen Akademie" in Hamburg eine Ausstellung eröffnet: "Bücher und Bilder - Zeitgenössische Kinderliteratur der DDR", wobei es sich um die größte Ausstellung von Literatur handelte, die die DDR jemals im "Ausland" veranstaltet hatte und in der mehr als eintausend Kinderbücher und Illustrationen präsentiert wurden. Bundesdeutsche Fachleute zeigten sich äußerst verblüfft, denn sie mußten feststellen, daß lange gehegte Vorurteile über die Durchsetzung der DDR- Kinderbücher mit Ideologie einfach nicht stimmten. Auch die Illustrationen zeichneten sich durch ein hervorragendes Niveau aus, das im internationalen Maßstab keine Vergleiche zu scheuen brauchte.
    In der Tat herrschte im "Land der ewigen Knappheit" an Kinder- und Jugendliteratur kein Mangel. Allein im Kinderbuchverlag Berlin erschienen zwischen 1949 und 1989 knapp fünftausend Titel mit einer Gesamtauflage von ca. dreihundert Millionen Exemplaren. Doch das war nur die eine Seite der Medaille; die andere bestand darin, daß sich in diesem Zeitrahmen kaum einer der namhaften DDR- Autoren zu schade war, auch Bücher für Kinder zu verfassen. Bertolt Brecht und Peter Hacks schrieben ebenso für den Nachwuchs wie Erwin Strittmatter, Stefan Heym, Volker Braun, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Werner Heiduczek, Franz Fühmann, Christoph Hein oder Thomas Rosenlöcher. Unter ihnen gab es etliche, deren Bücher auch in westeuropäischen Verlagen erschienen, so z.B. Benno Pludra, Elisabeth Shaw, Liselotte Welskopf- Henrich, Gerhard Holtz- Baumert oder Christa Kozik.
    Die Bedeutung von Kinder- und Jugendliteratur als eines hervorragenden Mediums hatte die Staats- und Parteiführung der DDR bereits von Anfang an erkannt und bereits 1950 gefordert: "Es ist eine hohe Pflicht aller Schriftsteller und Dichter, an der Schaffung einer neuen Kinder- und Jugendliteratur mitzuwirken, die die demokratische Erziehung der heranwachsenden Generation fördert". In der Praxis bedeutete dies, daß allein dem Kinderbuchverlag Berlin in den fünfziger Jahren 628 Tonnen Papier zur Verfügung standen, während für die gesamte Erwachsenenliteratur lediglich 3.000 Tonnen bereitgestellt wurden. In den 50er und 60er Jahren galt bei Kinder- und Jugendbüchern ebenso wie in allen Bereichen der Kunst ausnahmslos die Parole des "sozialistischen Realismus". Abgesehen vom verordneten Optimismus, der auch viele Texte für Kinder und Jugendliche durchwehte, war ein wesentliches Kennzeichen dieser Jahre, daß Kindheit damals nicht als eigene Form des Daseins begriffen wurde, sondern kindliche Entwicklung mit gesellschaftlichen Erscheinungen verquickt werden sollte. Exemplarisch dafür stehen Erwin Strittmatters "Tinko", Ludwig Renns "Camilo" und insbesondere viele Veröffentlichungen sowjetischer Autoren. Gegen Ende der sechziger Jahre vollzog sich dann in der Kinder- und Jugendliteratur ein allmählicher Wandel, als immer mehr Autoren den engen Rahmen des "sozialistischen Realismus" sprengten und eine bis dahin ungewohnte Schärfe der Konfliktgestaltung Einzug hielt. Eine glückliche Kindheit schien nur bei grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen möglich zu sein. Viele Charaktere wurden nun so angelegt, daß die kindlichen Vorstellungen vom Leben einen deutlichen Gegenentwurf zur bedrohlich erscheinenden Welt der Erwachsenen darstellten.
    Katrin Pieper, die langjährige Cheflektorin des Kinderbuchverlags Berlin, antwortete auf die Frage nach verbotenen oder stärker zenzierten Kinder- und Jugendbüchern mit einem Zitat der Autorin Christa Kozik: "Wenn man nur hartnäckig genug war und argumentieren konnte, hat man auch so gut wie alles durchgekriegt". Dennoch gab es bisweilen auch harte Auseinandersetzungen mit dem Ministerium für Kultur, erinnert sich Katrin Pieper. Etwa um Werner Heiduczeks "Der kleine häßliche Vogel" oder um viele Bücher Christa Koziks. Dennoch durften sie letztlich alle erscheinen und wurden auch außerhalb der DDR sehr erfolgreich.
    Viele Dichter und Autoren hatten über die Jahre stets einen ganz eigenen Anreiz, für Kinder zu schreiben. Im Jahre 1976 formulierte Rainer Kirsch das in einer Umfrage dergestalt : "Kinder sind Unordnungsfakoren in der Welt, Autoren auch. Texte für Kinder haben aber natürlich ebenso präzise zu sein wie solche für Erwachsene. So könnte Kinderliteratur prinzipiell auch von Erwachsenen gelesen werden".
    Nach dem Ende der DDR sahen sich viele Kinderbuchautoren dann mit einer ihnen gänzlich fremden Verlagswelt konfrontiert. Nicht nur, daß viele von ihnen quasi über Nacht ihre alten Verlage verloren, sondern sie mußten darüber hinaus erkennen, daß Bücher nun nur noch ein Medium neben anderen waren und statt des Lektors jetzt die Marketingabteilung eines Verlags über Wohl und Wehe einer Neuerscheinung entschied. Doch auch die konkreten Arbeitsbedingungen hatten sich deutlich verändert. Autor Manfred Bofinger dazu: "Was eindeutig nachgelassen hat, ist die Lektoratsarbeit, also die Beziehung Autor, Lektor und Illustrator. Es gibt in den Verlagen keine Gestaltungsabteilung mehr und auch keine Lektoratsabteilung für Illustrationen...In einem armen (sozialistischen, d.A.) Land lassen sich eben mehr Dinge machen als in einem reichen. Da wurden auch viele Dinge gemacht, ohne einen ökonomischen Hintergrund".

    www.youtube.com/watch?v=jU5V0w2zRCE
    www.youtube.com/watch?v=LSMVosJpb1o

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    Dienstag, 12. September 2023, 15:50

    Über die Unterhaltungsmusik in der DDR

    Die staatlich gelenkte Unterhaltungsmusik in der DDR stand von Anfang an vor dem Dilemma einer Reihe von Faktoren, die diesen Bereich beeinflußten, so das Verlangen vieler Zuhörer nach "westlich orientierter" Musik, der Ablehnung just dieser Musik und insbesondere der Beatwelle durch die Ulbricht- Regierung, das Verarbeiten von Themen, die den Menschen in der DDR am Herzen lagen sowie die vorgegebene staatliche Zensur insbesondere der Liedtexte.
    In den 50er Jahren wurden westliche Modetänze wie Boogie- Woogie sowie der aufkommende Rock´n Roll von der Staats- und Parteiführung noch als barbarisierendes Gift des amerikanischen Imperialismus angesehen, der die intelligenten Hirne der Werktätigen zu benebeln drohe und darüber hinaus die niedrigsten Instinkte im Menschen wecke. Einen eigens dafür geschaffenen Ersatz insbesondere zum Twist der frühen 60er Jahre sollte die DDR- Kreation "Lipsi" bieten, die jedoch als "Parteikreation" von der Mehrheit der DDR- Bevölkerung nicht angenommen wurde. Stattdessen erschienen dagegen gegen einige Widerstände im Jahre 1963 Manfred Krugs "Twist in der Nacht" sowie Susi Schusters "Jodel-Twist".
    Nach dem 11. Plenum des ZK der SED im Jahre 1965 wurde dann teilweise sehr konsequent gegen die zahlreichen aufgekommenen Beat- Bands vorgegangen, bis es nach 1970 mit der beginnenden Ägide Erich Honeckers zu einer bewußten Förderung junger deutscher Rockbands kam, und ab Mitte der 80er Jahre wurden auch die Liedtexte direkter und freizügiger. Bereits im Jahre 1988 zog der DDR- Musikwissenschaftler eine vorläufige Bilanz der DDR- Musikpolitik: " Wir haben glücklicherweise die prinzipiellen Einwände gegen die Popmusik in unserem Lande aufgegeben, doch die Förderung ist halbherzig, die Sicherstellung der instrumentalen Ausrüstung ist nicht gewährleistet, ihre Auftrittsgelegenheiten sind rar. Offensichtlich waltet das gleiche Syndrom von Überlegungen, das mich seinerzeit Jazz mit Argwohn betrachten ließ".
    Die Vergabe einer "Spielerlaubnis" für Berufsmusiker setzte eine solide musikalische Ausbildung voraus. Musiker ohne Hochschulabschluß mußten eine Prüfung bestehen, die von einer Kommission des Bezirkskomitees für Unterhaltungskunst abgenommen wurde. Teilweise war eine dem DDR- Regime unpassende politische Haltung von Musikern ein Hinderungsgrund für die Vergabe einer Spielerlaubnis.
    Auch Amateurmusiker als "Vertreter des künstlerischen Volksschaffens" benötigten für öffentliche Auftritte eine staatliche Spielerlaubnis. Ohne diese Genehmigung durften die als "Amateuertanzorchester" bezeichneten Bands in der Regel keine öffentlichen Auftritte bestreiten. Dabei waren Musiker dieser Art ihren professionellen Kollegen oft gleichwertig, wenn sie etwa auf der gesetzlich vorgeschriebenen Einstufung vor einer Abnahmekommission der örtlichen Kulturfunktionäre die höchste Einstufung "Sonderstufe mit Konzertberechtigung" erreichten. Wie hoch die Bedeutung dieser Amateurbands einzuschätzen ist, zeigt allein die Zahl von über zweitausend (!) dieser Formationen gegenüber lediglich einhundertzehn professionellen Gruppierungen gegen Ende der DDR.
    Schlager spielten seit der Gründung der DDR eine bedeutende Rolle im Musikgeschehen des Landes. Der Intendant und Redakteur Heinz Quermann galt als einer der wichtigsten Föderer des Schlagers in der DDR und moderierte zwischen 1958 und 1994 die Sendung "Schlagerrevue", die bis 1990 wöchentlich vom Radiosender DDR 1 ausgestrahlt wurde. Weitere populäre Schlagerformate waren "Das Schlagermagazin" des Berliner Rundfunks sowie im Fernsehen die Sendung "Schlagerstudio". Heinz Quermann galt u.a. als Entdecker populärer Schlagerstars wie Regina Thoss, Dagmar Frederic, Frank Schöbel, Chris Doerk sowie von Helga Hahnemann. Die Produktionsquote von Schlagern lag beim DDR- Plattenlabel "Amiga" besonders hoch. Erschienen in den 50er und 60er Jahren vor allem zahlreiche Singles, waren es im Anschluß überwiegend Langspielplatten, darunter viele Kompilationen wie "Amiga- Express", "Star- Parade" oder "Die großen Erfolge". Daneben wurden zahlreiche LP´s mit Stimmungsmusik wie "Stimmung", "Jux" oder "Fidelitas" veröffentlicht.
    Neben den einheimischen Künstlern gab es in der DDR auch zahlreiche osteuropäische Interpreten, die Schlager in deutscher Sprache einspielten. Das "Internationale Schlagerfestival Dresden" sowie das "Internationale Schlagerfestival der Ostseeländer" in Rostock fanden einmal jährlich statt und wurden ebenso als Wettbewerb ausgetragen wie der nationale "Schlagerwettbewerb der DDR".

    www.youtube.com/watch?v=5ZyjkUqIopE

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    Mittwoch, 20. September 2023, 16:02

    Kultur für alle ! - Über Aspekte des Kulturbetriebs in der DDR

    Im Jahre 1969 befand ich mich zum letzten Mal gemeinsam mit meiner Mutter auf Verwandtenbesuch in der DDR und wurde von meinen Cousins Peter und Bernd ins Kino eingeladen. Gegeben wurde "Born Free", ein sehr unterhaltsamer Naturfilm. Da ich als Kind bei uns im Westen bisher aufgrund der recht salzigen Eintrittspreise noch nie im Kino war, war ich doch einigermaßen erstaunt über die recht günstigen Tarife, die man im ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden den Bürgern abverlangte. Erst später erfuhr ich, daß die Kino- Entrittspreise, wie viele andere Kulturveranstaltungen auch, staatlich subventioniert wurden.
    Darüber hinaus war die Freiheit der Kunst im "Leseland" DDR durchaus nicht immer gewährleistet. Inhalte und Formen der Kulturausübung standen unter Kontrolle der SED und unterlagen oft der Zensur. Das von der DDR geförderte öffentliche Kulturleben war ganz überwiegend durch den Kulturbund, der Urania, dem Schriftstellerverband der DDR, der Akademie der Künste, dem Journalistenverband, der FDJ sowie den Parteien und Gewerkschaften organisiert. Aufgabe der Kultur in der DDR war die Förderung des Sozialismus, wobei als orientierender Leitbegriff für fast alle künstlerischen Betätigungen der "sozialistische Realismus" zu gelten hatte. Welche Kunst diesem Anspruch genügte, hing jedoch von der jeweils aktuellen Parteilinie und auch von den für Zulassungsfragen Zuständigen ab, die oft je nach Persönlichkeit und politischer Schattierung in einer weiten Bandbreite Entscheidungen trafen.
    Am Ende der DDR gab es zuletzt über 18.000 (!) Bibliotheken, 213 Theater, 719 Museen, 190 Musikschulen, 848 Clubhäuser, 594 FDJ- Jugendclubs sowie 56.000 (!) ehrenamtlich geleitete Clubs, Jugendclubs und Klubs der Werktätigen. Eine DDR- spezifische Besonderheit waren auch die Kulturhäuser, Pionierhäuser, Spartakiaden und Arbeiterfestspiele. Ethische Orientierungspunkte für Jugendliche bestanden in der Jugendweihe mit ihren vorausgegangenen Jugendstunden sowie dem Verhaltenskodex der Junpioniere sowie der FDJ. In der sozialistischen Alltagskultur der DDR besonders erwünschte Aktivitäten waren das Altpapiersammeln, die Teilnahme an Demonstrationen z.B. am 1. Mai oder am 7. Oktober, an den sog. "Olympiaden" in Wissenschaften wie Mathematik, Chemie, Biologie, Geschichte oder Russischer Sprache, an Ferienlagern und Ernteeinsätzen, am FDJ- Studienjahr und an ideologisch gefärbten Wandzeitungen. Darüber hinaus verfügten die Bürger der DDR über ein vergleichsweise großes und vielfältiges kulturelles Angebot und nahmen überwiegend recht aktiv am kulturellen Leben teil. Dies lag, wie bereits oben erwähnt, auch an den meist sehr geringen Preisen für kulturelle Veranstaltungen, die durch staatliche Subventionen ermöglicht wurden. Das durch oft in hohen Auflagen zur Verfügung stehende Bücherangebot, allen voran die sozialistischen Klassiker (Marx, Engels, Lenin) und das sehr gut ausgebaute Netz öffentlicher Bibliotheken vermittelten den Eindruck der DDR als "Leseland". Und das, obwohl in den 60er Jahren die Ausstatttung der Haushalte mit Fernsehgeräten auch in der DDR rasch zunahm und neben Unterhaltungsrennern wie "Außenseiter- Spitzenreiter", "Ein Kessel Buntes", "Willi Schwabes Rumpelkammer" oder für Kinder das "Sandmännchen" auch für die meisten Bürger der DDR der Empfang des "Westfernsehens" möglich war; ein Phänomen, das noch heute den Schreiber dieser Zeilen erstaunt und verwundert. "Kaum etwas anderes hat die DDR- Gesellschaft so geprägt und beeinflußt, wie die allabendliche Massenausreise via Knopfdruck" (Ilko- Sascha Kowalczuk)

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    Donnerstag, 21. September 2023, 15:49

    Wohnen in der DDR

    Wohnungsprobleme waren von den 50ern bis in die 80er Jahre ein Kernthema im Alltag der DDR- Bevölkerung, wie der Schreiber dieser Zeilen aus eigener Anschauung weiß. So befanden sich noch im Jahre 1989 die Toiletten von mehr als einem Viertel aller Wohnungen im Treppenhaus oder "überm Hof" und wurden häufig von mehreren Parteien genutzt. Insbesondere in ländlichen Gegenden waren die Plumpsklos außerhalb der Wohngebäude noch Standard und lagen oft direkt neben Stallungen für Kleintiere wie Ziegen, Hühnern oder Kaninchen, während in städtischen Altbauten noch sehr häufig die ursprünglichen Toiletten im Treppenhaus vorhanden waren.
    Nachdem die "16 Grundsätze des Städtebaus" aus den frühen 50er Jahren, die dem "sozialistischen Klassizismus" verpflichtet waren und in erster Linie auf repräsentative Bauten in den Stadtzentren zielten, zur Beseitigung des Wohnungsmangels kaum beigetragen hatten, setzte man für die Zukunft auf die rationellere industrielle Fertigung und verlegte sich zwecks Wohnraumbeschaffung nahezu ausschließlich auf den Plattenbau, im DDR- Volksmund auch spöttisch "Arbeiterschließfächer" genannt. Zum musterhaften Großprojekt wurde diesbezüglich der Bau des Chemiearbeiter- Komplexes Halle- Neustadt (Spitzname "Hanoi"), geplant als "sozialistische Stadt" für zunächst 70.000 Bewohner, die mit Unterstützung des Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht ab 1964 gebaut und sukzessive ab 1965 bezogen wurde. Der Schwerpunkt dieser Bauart lag auf Zwei- bis Dreiraumwohnungen, berechnet auf die Norm der Ein- oder Zwei- Kind - Familie. Mehr als 150 Werke bildender Kunst mit Natur- und Gegenwartsbezügen wurden installiert. Alle Einrichtungen des täglichen Bedarfs sollten in den Zentren dieser Wohnkomplexe auf kürzestem Weg erreichbar sein. Vorgesorgt wurde für eine zumindest nominell hundertprozentige Abdeckung mit Krippen- und Kindergartenplätzen, mit Schulen und mit einer Erweiterten Oberschule, während Berufsschulen, Bibliotheken und Sportstätten noch vor dem eigentlichen Stadtzentrum fertiggestellt wurden.
    Weiter bekannte Plattenbau- Großkomplexe entstanden u.a. in Hoyerswerda, Rostock- Lichtenhagen sowie in Berlin- Marzahn ("Großbaustelle der FDJ"). Nicht nur in ihrer äußeren Quadergestalt, sondern auch beim Zuschnitt der Wohnungen herrschte eine intensive Gleichförmigkeit. Jedoch sollte nicht unberücksichtigt bleiben, daß Fernheizung, Warmwasser, eigenes Bad, Innentoilette und Einbauküchen mit Durchreiche in den 60er und 70er Jahren für viele DDR- Bürger als wohnkulturelle Errungenschaften galten, und das alles ohne nennenswerte Mehrkosten für Heizung und Wasser sowie bei extrem niedrigen Mieten von durchschnittlich nur drei Prozent (!) des Familieneinkommens. Die Standardgröße dieser Wohnungen lag bei 55 Quadratmetern und zweieinhalb Zimmern für maximal vier Personen, wobei die "soziale Durchmischung" Parteiprogramm und auch Realität war, denn in den oft recht hellhörigen Wohneinheiten lebten Akademiker- und Arbeiterfamilien nicht selten Wand an Wand. An obligatorischen gemeinschaftlichen Mieteraktivitäten gab es darüber hinaus den sogenannten "Subbotnik", bei dem "der Herr Professor den Rasen harkte, während die Putzfrau die Blumen pflanzte, und der anonyme Alkoholiker Glasscherben aufsammelte".
    Die Wohnungsvergabe für die in den 60er/70er Jahren durchaus begehrten Neubauwohnungen dieser Art führte über einen Eintrag in die Liste der Wohnungssuchenden. Bevorzugt wurden dabei Personen, die volkswirtschaftlich oder gesellschaftlich als wichtig eingeschätzt wurden und bereits eine Familie gegründet hatten. Aus diesem Grund heiratete man in der DDR auch oft (zu) schnell und (zu) früh, um den Verhältnissen im eigenen Elternhaus zu entkommen. Spätere häufige Scheidungen (auf diesem Gebiet hatte die DDR- Bevölkerung Weltniveau) führten mit der Zeit dazu, daß in den Neubaugebieten überproportional viele alleinerziehende Mütter zu finden waren.
    Die Zufriedenheit mit den Wohnverhältnissen in den Plattenbauten war oft geteilt. Während sich die Neueingezogenen zunächst an der Verbesserung ihrer bisherigen Wohnverhältnisse erfreuten, wuchsen bei anderen mit den Jahren Kritik und Enttäuschung. Kinderzimmer, Bad und Küche wurden oft als zu klein empfunden, auch machte fehlender Abstellraum es bisweilen schwierig, Ordnung zu halten. Oft war in Bezug auf die "Platte" daher von "Karnickelbuchten", "Wohnsilos" oder den bereits genannten "Arbeiterschließfächern" die Rede.

    www.youtube.com/watch?v=pG0aTZBoa94
    www.youtube.com/watch?v=S11S5ov_CDs

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    Freitag, 22. September 2023, 16:00

    Gedenkfeiern und die Jugendweihe in der DDR

    Die Feiern zur Republikgründung sowie zu diversen Jubiläen und Gedenktagen wurden von der Führung der SED mit teils enormem organisatorischen Aufwand vorbereitet und abgehalten. Stefan Wolle begründete diese Verhaltensmuster so: "Die Beschwörung der eigenen Historie verlieh dem seiner selbst unsicheren Staatswesen der DDR den Anschein von Würde und Achtbarkeit, teilweise in recht kuriosen Formen. So bescherte man zum groß begangenen Karl Marx- Jahr im Jahre 1953 den überraschten Einwohnern von Chemnitz einen neuen Namenspatron, obwohl der bärtige Prophet aus Trier mit der sächsischen Industriestadt nicht das Geringste zu tun hatte. Auch wurde anläßlich des 50. Jahrestages der Oktoberrevolution im Jahre 1967 unter ausdrücklicher Berufung auf die legendären Schüsse des Panzerkreuzers "Aurora" das erste Goldbroiler- Restaurant in Ost- Berlin eröffnet."
    Weitere Großanlässe für entsprechende Gedenkfeiern waren u.a. das Luther- Jahr 1984, die Johann Sebastian Bach- Ehrung von 1985, das 750- jährige Stadtjubiläum von Berlin 1987, sowie das für 1989 projektierte Thomas Münzer- Jubiläum.
    Mit Militärparaden und Massenaufmärschen u.a. von Kampfgruppen der Arbeiterklasse und Angehörigen der FDJ wurde dagegen der jährliche Geburtstag der Republik begangen, so zum letzten Mal im Jahre 1989. Ein Zeitzeuge: "In den Straßen entlang der sogenannten Protokollstrecke und rum um die Paradestraßen gingen die Leiter der Hausgemeinschaften von Tür zu Tür, um säumige Bürger zu ermahnen, die Fahne aus dem Fenster zu hängen...Die S- Bahnen, Straßenbahnen und Busse waren mit kleinen metallenen Fähnchen geschmückt. Rechts die Staatsflagge, links das rote Banner der Arbeiterbewegung".
    Ein besonderer Festtag mit politischen und privaten Zügen war die Jugendweihe, die im Frühling jeweils vor Abschluß des achten Schuljahres stattfand. Man hatte sie bereits im Jahre 1954 als staatlich geförderte Alternative zur evangelischen Konfirmation und zur katholischen Firmung in der DDR eingeführt und als ein wichtiges Element der antikirchlichen Propaganda zunächst mit großem Druck auf Schüler, Eltern, Lehrer und Schulleitungen vorangetrieben. Ab den 60er Jahren gehörte die Jugendweihe, da eng mit Schule und FDJ verbunden, zum gängigen Ritual der überwiegenden Mehrheit der DDR- Jugend. Lediglich engagierte Christen, z.B. in den noch stark religiös geprägten Regionen des Erzgebirges und des Eichsfelds, verzichteten auf die Jugendweihe. Die einjährige Vorbereitung auf die Jugendweihe war in monatlichen "Jugendstunden" im Rahmen des schulischen Unterrichts zu vollziehen. Bestandteil der Feier, die in Gegenwart der dazu eingeladenen Angehörigen stattfand, war ein Gelöbnis der Jugendweihlinge, in dem sie sich u.a. zu ihrem Einsatz für die DDR, für den Sozialismus sowie für den proletarischen Internationalismus zu bekennen hatten. An den offiziellen Teil schlossen sich meist Feiern im Familien- und Freundeskreis an.
    Weniger durchschlagenden Erfolg als bei der Jugendweihe hatte die Staats- und Parteiführung der DDR mit ihrer Kampagne für eine "sozialistische Namensgebung", die die christliche Taufe ersetzen sollte, verbunden mit einem Bekenntnis der Eltern und ggfs. auch der Paten, den Nachwuchs im Geiste des Sozialismus zu erziehen. Die im Jahre 1958 ins Leben gerufene Initiative, die von weniger als einem Viertel der Zielgruppe tatsächlich in Anspruch genommen wurde, verlief seit den 70er Jahren weitgehend im Sande, was auch darin begründet lag, daß diese Kampagne weit zurückhaltender von der SED betrieben wurde als die Einführung der Jugendweihe.

    www.youtube.com/watch?v=6zWJQ6tjLKc
    www.youtube.com/watch?v=be2XzHCd8nA

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    Samstag, 23. September 2023, 16:58

    Kultur in den Arbeitskollektiven der DDR

    Einer der Wirkungsräume für die Kulturvermittlung in der DDR waren die betrieblichen Einrichtungen der verschiedenen Produktions- und Dienstleistungsstandorte. Eine entsprechende Vorgabe setzte bereits im Juli 1958 der Staatratsvorsitzende Walter Ulbricht auf dem Fünften Parteitag der SED mit der Parole, "die Trennung zwischen Kunst und Leben, die Entfremdung zwischen Künstler und Volk" zu überwinden. Denn die in Staat und Wirtschaft mittlerweile herrschende Arbeiterklasse müsse nun auch "die Höhen der Kultur stürmen und von ihnen Besitz ergreifen". Erste praktische Auswirkungen zeigte dies in der anfänglich mit beachtlichen Erfolgen verbundenen "Greif zur Feder, Kumpel !"- Bewegung, die mit relativ geringem Aufwand initiiert werden konnte. Als Folge dieser Initiative enstanden hunderte von Zirkeln schreibender Arbeiter, zu denen sich später auch Angestellte sowie Lehrer und Schüler gesellten. Die daraus entstandenen Brigadetagebücher und Wandzeitungen sollten jedoch nicht nur die kulturellen Begabungen der Werktätigen fördern, sondern den Staatsorganen zugleich Rückschlüsse auf die ideologische Zuverlässigkeit der Arbeiter und Angestellten des Arbeiter- und Bauernstaates liefern. Der auf das Zusammenwirken von hauptberuflichen Schriftstellern und Werktätigen abzielende und oft berufene "Bitterfelder Weg" wurde jedoch nur über einen relativ kurzen Zeitraum verfolgt, hingegen entwickelten sich die im Jahre 1959 eingeführten und jeweils im Juni abgehaltenen "Arbeiterfestspiele der DDR" rasch zu einer jährlich stattfindenden Veranstaltung.
    Zur innerbetrieblichen Alltagskultur gehörten vor allem die sogenannten "Brigadeabende" oder "Brigadefeiern". Damit waren u.a. gemeinsame Ausflüge sowie Theater- oder Konzertbesuche gemeint; am beliebtesten wurden jedoch die regelmäßigen Zusammenkünfte der Brigademitglieder zu gemütlichen Abenden, die teilweise auch mit eingeladenen Ehepartnern, einem gemeinsamen Essen, ausgiebigem Alkoholkonsum sowie mit Musik und Tanz verbunden waren. Derartige Brigadefeiern wurden aus Kollektivprämien oder aus der Brigadekasse finanziert und dienten sogar gelegentlich darstellenden Künstlern als Motiv.
    Ebenfalls goßenteils im betrieblichen Kollektiv begangen wurde der "Internationale Frauentag", wobei die Vorgesetzten ein Prost auf alle werktätigen Frauen und Mütter ausbrachten und diese zur Feier dieses Tages entsprechende Anstecknadeln erhielten. Regina Mönch: "In den frühen Jahren der DDR gab es eine kleine Stoffblüte, in den Jahren darauf häßliche Plasteblümchen. Dazu bekamen die Frauen in fast allen Institutionen, Betrieben und den LPG´s (Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften) ein kleines, dünngewebtes Handtuch in schreiend bunten Farben und ein Stück mäßig duftende Seife, schlimmstenfalls mit Kölnisch Wasser komplettiert." Frau Mönch betonte in diesem Zusammenhang, daß es trotz der im Vergleich mit der Bundesrepublik hohen Zahl erwerbstätiger Frauen in der DDR mit der Frauengleichberechtigung nicht allzu weit her war, da sie wie die Männer auch mindestens vierzig Jahre arbeiten mußten, ihre Löhne aber weit hinter denen der Männer zurücklagen, und daß sie darüber hinaus zuhause bis zu siebzig Prozent der Arbeiten im Haushalt erledigen mußten. Eine gewisse Emanzipation fand dennoch makabrerweise über die sehr hohen Scheidungsquoten statt, da DDR- Frauen oft ihr "eigenes Geld" verdienten, dadurch wirtschaftlich unabhängiger waren und nicht in dem Umfang auf Zuwendungen (Haushaltsgeld) ihrer Ehepartner angewiesen waren, wie dies in der Bundesrepublik in diesem Zeitrahmen noch oft der Fall war.

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    Sonntag, 24. September 2023, 16:17

    Was war der "Bitterfelder Weg" ?

    Das "Dichten an der Werkbank" wurde in der DDR von der Staatspartei SED gefördert und auch propagiert. Mit den "Bitterfelder Konferenzen" von 1959 und von 1964 versuchte die Partei dann, Literatur und Arbeit einander näher zu bringen. Literatur, Arbeitsprozeß und öffentliches Leben sollten eine Verbindung eingehen.
    Unter dem Motto "Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische Nationalkultur braucht dich !" fand am 24. April 1959 im Kulturhaus des Chemiekombinats Bitterfeld die erste von zwei Autorenkonferenzen des Mitteldeutschen Verlags statt. Auf Geheiß von Walter Ulbricht wurden die Schriftsteller aufgefordert, in ihren Werken den Arbeitsalltag der werktätigen Bevölkerung vor allem in den Fabriken zu beschreiben. Doch auch die Arbeiter selbst sollten schöpferisch tätig werden und die Höhen der Kultur stürmen. Dies war gleichzeitig die Gebutsstunde des sogenannten "Bitterfelder Wegs". Den "offiziellen" Aufruf dazu verfaßte damals der Schriftsteller Werner Bräunig mit den Worten: "Greif zur Feder, Kumpel ! Und laß Dich´s nicht verdrießen, wenn sich das lebendige Wort Dir nicht sofort fügen will !"
    Beschlossen wurde nun, daß Künstler in die Produktion gegen und Arbeiter bei ihren künstlerischen Bemühungen anleiten sollten. Etliche Autoren folgten dieser Aufforderung anfänglich durchaus mit Begeisterung, denn auch sie erhofften sich davon quasi als Beiprodukt neue Stoffe für ihr literarisches Schaffen. Christa Wolf z.B. inspirierte ihre Zeit beim "VEB Waggonbau Ammendorf" zu ihrem ebfs. verfilmten Roman "Der geteilte Himmel". Franz Fühmann schrieb seinen Reportageroman über die Warnow- Werft "Kabelkran und Blauer Peter", und Brigitte Reimann, die im "VEB Kombinat Schwarze Pumpe" einen Zirkel schreibender Arbeiter leitete, verarbeitete ihre dortigen Erlebnisse in ihrem Roman "Ankunft im Alltag".
    Von den Bitterfelder Konferenzen gingen zweifelsohne wichtige Impulse für das künstlerische Schaffen der werktätigen Bevölkerung aus. In den Betrieben, in Stadtteilen und auch an Schulen bildeten sich in der Folgezeit Hunderte von Schriftstellerzirkeln, angeleitet von mehr oder weniger namhaften Autoren. Auch die Regale der Buchhandlungen dieser Jahre füllten sich in zahlreichen Anthologien über "Arbeiterliteratur". Doch an Literatur dieser Art wurden Anforderungen gestellt, die sie meist nicht zu leisten imstande war. Die von einigen Kritikern belächelte Bewegung versandete letztendlich. Immerhin hatten sich aber auf der Zweiten Bitterfelder Konferenz im April 1964 auch einige vielversprechende junge Autoren wie Wolf Biermann und Armin Müller dem Publikum präsentieren können.
    Bereits im Jahre 1965 wurde der "Bitterfelder Weg" parteioffiziell wieder zu den Akten gelegt, zumal er auch einen unerwünschten Nebeneffekt hatte, wie Christa Wolf 1990 rückblickend beschrieb: "Und als klar wurde, daß die Verbindung der Künstler mit den Betrieben dazu führte, daß sie realistisch sahen, was dort los war, daß sie Freundschaften mit Arbeitern, mit Betriebsleitern, mit Leuten anderer Berufe knüpften und daß sie Bescheid zu wissen begannen auch über die ökonomische Realität in diesem Land: da, genau an diesem Punkt, wurde die Bitterfelder Konferenz, wurden die Möglichkeiten, die sie uns eröffnet hatte, ganz rigoros beschnitten. Damit wurde also die Möglichkeit zur Einmischung durch Kunst, die wir vehement ergriffen hatten und die wir gar nicht so schlecht fanden, gekippt". So fiel auch Werner Bräuning (1934- 1976), der ursprünglich den Aufruf "Greif zur Feder, Kumpel !" erfunden hatte, mit seinem kritischen Wismut- Roman "Rummelplatz" bei der Staats- und Parteiführung der DDR in Ungnade, da dieser sehr realistisch die Welt der "fluchenden, saufenden und raufenden Arbeiter" beschrieben hatte.

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    Freitag, 29. September 2023, 16:39

    Aufstieg und Fall des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) in der DDR

    Mit der weitgehenden Übernahme des sowjetischen wirtschaftlichen Planungssystems für die DDR Ende der 40er bis Anfang der 50er Jahre glaubte die SED- Führung unter Walter Ulbricht zunächst die Frage nach dem "richtigen" Wirtschaftslenkungssystem gelöst zu haben. Doch bereits nach einigen Jahren Planungspraxis offenbarten sich erhbliche Defizite dieses zentralistisch- administrativen Systems. Bei vielen Leitern der volkseigenen Betriebe (VEB) nahm z.B. die Tendenz zu "weichen Plänen" zu, die den Produktivitäts- und Qualitätsanforderungen oft nicht genügten. Ab ca. 1954 gab es daher in der SED- Führung Auseinandersetzungen darüber, ob und wie das übernommene Planungssystem reformiert werden müsse, um dem Wirtschaftswachstum des kapitalistischen Westens Paroli bieten zu können. Bezüglich seiner Bedeutung für das wirtschaftliche Schicksal der DDR ist der Streit um die geeigneten Wirtschaftslenkungsmethoden in der DDR- Geschichte einzigartig geblieben, so daß personelle Konsequenzen durch den Austausch von Kadern innerhalb der für die Wirtschaftlenkung relevanten Institutionen vielfach nicht ausblieben. Einen ersten Höhepunkt der Auseinanderstzungen zwischen Konservativen und Reformern bildete in den frühen 60er Jahren die Vorbereitung des "Neuen Ökonomischen Systems" (NÖS). Die Reformer konnten sich allerdings nicht damit begnügen, das wirtschaftliche Fiasko der Konservativen abzuwarten, denn sie hatten vor ihrer "Machtübernahme" ein Kardinalproblem zu lösen: die Führung der UdSSR mußte ihnen freie Hand lassen. Deshalb fuhr im November 1962 eine Delegation unter der Leitung Walter Ulbrichts nach Moskau, um die sowjetischen Genossen über das NÖS zu unterrichten, dessen Start auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 beschlossen werden sollte. Chruschtschow willigte schließlich ein und erklärte sich bereit, auf dem Parteitag in Berlin aufzutreten, um durch seine Präsenz sein Einverständnis zu signalisieren. Derart eingeschüchtert, wurde die Frontfigur der Konservativen Mewis als Leiter der staatlichen Plankommission abgelöst und durch den Reformer Erich Apel ersetzt. Zum Abschluß der "Bernauer Klausur" lag schließlich ein Programm vor, das die Grundsätze des NÖS beinhaltete. Es folgte im Juni 1963 eine Wirtschaftskonferenz, auf der das Führungspersonal der Industriezweigleitungen, Direktoren von Großbetrieben, Mitarbeiter zentraler und örtlicher Wirtschaftsinstanzen, Parteifunktionäre und Wirtschaftswissenschaftler mit dem Inhalt der Richtlinie vertraut und auf sie eingeschworen werden sollten. Der Übergang von einer reinen sozialistischen Planwirtschaft zu einer Mischwirtschaft (Mixed Economy) mit kapitalistischen Elementen, auch als "Marktsozialismus" bezeichnet, wurde damit zur offiziellen Regierungspolitik der DDR.
    Im Jahre 1963 galubten sich die Wirtschaftsreformer des Sieges über die Konservativen sicher zu sein. Jedoch erwiesen sich die von Erwin Apel geäußerten großen Hoffnungen als trügerisch. Bereits zweieinhalb Jahre später, auf dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 (wenige Tage nach Erich Apels Tod), bliesen die Konservativen unter Erich Honecker zum Gegenangriff. Jedoch konnten sie sich gegenüber den Reformern zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchsetzen, genausowenig wie bei ihrem zweiten Versuch im Herbst 1968, als sich nach dem "Prager Frühling" das Klima für Reformen auch in der DDR spürbar verschlechterte. Beide Male sahen sich allerdings die Reformer um Walter Ulbricht und Günter Mittag genötigt, Kompromisse mit den Konservativen einzugehen. Diese betrafen zwar nicht das NÖS selbst, das bereits ab 1966 in seine zweite Etappe ging und ab 1968 als "Ökonomisches System des Sozialismus" (ÖSS) weitergeführt wurde. Dennoch wurde bereits in diesem Jahr die öffentliche Diskussion über den weiteren Ausbau der "Mixed Economy" in den entsprechenden Fachzeitschriften nicht mehr geduldet. In welchem Maße diese Kompromisse zum Abbruch der Wirtschaftsreformen im zweiten Halbjahr 1970, zum Sturz Walter Ulbrichts und zum Sieg der Konservativen unter Erich Honecker beitrugen, ist unter Historikern und Wirtschaftshistorikern bis heute umstritten. Jedenfalls sorgten die Konservativen unter der Führung Honeckers dafür, daß die Reformen Schritt für Schritt zugunsten eines erneuerten zentralistisch- administrativen Planungssystems abgebaut wurden. Zaghafte Versuche der in der Wirtschaftsadministration verbliebenen Reformanhänger, die Ideen des NÖS, wie etwa die als Konsequenz realistischer Preisbildung im Jahre 1968 eingeführte betriebliche "Eigenerwirtschaftung der Mittel" erneut zu etablieren, hatten in den darauffolgenden 70er und 80er Jahren nie eine Realisierungschance, ungeachtet des eigentlichen Reformbedarfs angesichts des nachlassenden Wirtschaftwachstums und einer zunehmend überbordenden Devisenverschuldung der DDR.
    Eine kurzlebige Renaissance erlebten die Reformideen des NÖS dann nach dem Sturz Honeckers unter Ministerpräsident Hans Modrow, bevor alle zwischen November 1989 und März 1990 unternommenen Versuche, in der DDR wieder eine "Mixed Economy" zu errichten, endgültig scheiterten und die Übernahme des bundesdeutschen Wirtschaftssystems durch den Markt ab Juli 1990 auch für die DDR verbindlich wurde.

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    Donnerstag, 2. November 2023, 16:07

    Wer war Erich Mielke ?

    Vielen Insidern galt er als der zweitmächtigste Mann nach Walter Ulbricht und Erich Honecker. Seine lange Dienstzeit als Chef des MfS lag wohl auch darin begründet, daß er nicht nur über zahllose Informationen über renitente DDR- Bürger verfügte, sondern ebenso über Insiderwissen über die Mächtigen in der DDR- Nomenklatura, was ihn, ähnlich wie J. Edgar Hoover in den USA, fast unangreifbar machte.
    Geboren wurde Erich Mielke am 28. Dezember 1907 als Sohn eines Stellmachers im Berliner Wedding. Als guter Schüler erhielt er trotz seiner proletarischen Herkunft eine Freistelle auf dem Köllnischen Gymnasium, so daß der Staat die Kosten des Schulgelds übernahm. Allerdings ging Mielke bereits nach der zehnten Klasse aus unklaren Gründen von der Schule ab und begann eine Lehre als Expedient bei der Spedition Adolf Koch in Berlin- Mitte. Ab 1927 arbeitete er in der Auslieferung der "Autofabag", die Fernsprechanlagen vertrieb und zum Siemens- Konzern gehörte. Auffallend war, daß er mit 22 Jahren immer noch bei seinen Eltern wohnte.
    Im Jahre 1931 wurde Mielke im Zuge der Weltwirtschaftskrise arbeitslos und schloß sich als KPD- Mitglied dem Parteiselbstschutz an, einer bewaffneten Formation, die KPD- Aktionen absicherte, dabei aber auch Gewalttaten verübte. Am 9. August 1931 wurden zwei Berliner Polizei- Offiziere vor dem bis heute bestehenden Kino Babylon hinterrücks erschossen; an der Aktion soll auch Erich Mielke beteiligt gewesen sein, der daraufhin mit gefälschten Papieren ausreisen und zunächst in der Sowjetunion untertauchen konnte. Wegen dieses Mordes wurde Mielke Jahrzehnte später im Jahre 1993 zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
    In Moskau besuchte Mielke die Militärpolitische Schule der Komintern und kam ab September 1932 auf die Lenin- Schule, die als Kaderschmiede für kommunistische Nachwuchskader galt. Im Jahre 1935 wurde er dort Lektor und behielt aus dieser Zeit die prägende Erfahrung, daß sich die dortigen Schüler im Parteiauftrag gegenseitig bespitzelten.
    Im Jahre 1937 schickte die Partei Mielke in den Spanischen Bürgerkrieg und er geriet 1939 nach Frankreich, wo er bei der Abschnittsleitung der KPD für Westdeutschland tätig wurde. Eine Berliner Kommunistin beschrieb ihn in dieser Zeit so: "Ein überheblicher, mäßig intelligenter, sehr arroganter Mensch..." Nach der Eroberung Frankreichs durch die Deutsche Wehrmacht blieb Mielke beim Arbeitsdienst des Vichy- Regimes, während sich die meisten Kommunisten der französischen Resistance anschlossen. Er tarnte sich als Lette "Richard Hebel" und wurde Anfang 1944 von der Organisation Todt übernommen. Mit der "OT" kehrte Mielke im Frühjahr 1945 nach Deutschland zurück, was der Legende widerspricht, er sei mit der "ruhmreichen Roten Armee" nach Berlin zurückgekehrt. Dort meldete er sich im Juni 1945 bei der KPD, wurde Leiter der Polizeiinspektion Lichtenberg und avancierte im Dezember 1945 zum Leiter der Abteilung Polizei und Justiz beim ZK der KPD (ab April 1946: SED), wo er sich das Vertrauen von Walter Ulbricht erwerben konnte. So avancierte er im April 1946 zum Vizepräsidenten der "Deutschen Verwaltung des Innern" und baute die politische Kriminalpolizei K 5 auf. Doch im Februar 1947 erging gegen ihn wegen der immer noch anhängigen Polizistenmorde von 1931 ein Haftbefehl, dessen Vollstreckung die SMAD jedoch vereitelte.
    Mielkes wichtigstes Arbeitsgebiet wurden personelle Überprüfungen, da bürgerliche und sozialdemokratische Einflüsse zunehmend eliminiert werden sollten und politische Zuverlässigkeit höher als fachliche Qulifikation gewertet wurde. In diesem Zeitrahmen gründete er auch eine Familie mit der Schneiderin Gertrud Müller, die Mielke im Jahre 1948 Sohn Frank schenkte. Hinzu kam als Pflegetochter die Kriegswaise Inge Knappe.
    Im April 1949 wurde Erich Mielke zum Chefinspekteur der "Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft", woraus sich im Februar 1950 das "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) entwickelte. Mielke wurde dadurch Staatssekretär und rückte gleichzeitig ins ZK der SED auf. Allerdings bestimmten bis Mitte der 50er Jahre weitgehend sowjetische Instrukteure die Arbeit des Ministeriums. Sie waren federführend bei der Kaderauswahl, bei den Regularien für den Dienstbetrieb und bei der Veranlassung "operativer Vorgänge". Die Führungsebene des MfS rekrutierte sich in der Regel aus altgedienten Kommunisten, bei denen die politische Überzeugung und weniger die fachliche Eignung im Vordergrund zu stehen hatte. So galten bereits westliche Kriegsgefangenschaft oder das Vorhandensein von Westverwandtschaft als Ausschlußkriterien. Dementsprechend war die Qualifikation der Mitarbeiter des MfS anfangs gering und die Fluktuation sehr groß. Die stalinistischen Säuberungen der frühen 50er Jahre gingen auch am MfS nicht spurlos vorbei, und der Terror, der von Mielke forciert wurde, wandte sich zunehmend auch gegen die eigenen Genossen, nachdem Sozialdemokraten, Christen, bürgerliche Politiker und "Kapitalisten" teilweise einer rücksichtslosen Verfolgung ausgesetzt waren.
    Der 17. Juni 1953 wurde zum Menetekel für die SED- Führung und gleichzeitig zu einer Gefahr für Erich Mielke, da der Staatssicherheit nach der Niederschlagung des Aufstands vorgeworfen wurde, nicht ausreichend informiert gewesen zu sein. Fast gleichzeitig tauchten im Juli 1953 Korruptionsvorwürfe gegen Mielke auf, da dieser über sein Gehalt als Staatssekretär hinaus zwischen 1950 und 1952 45.000,- Mark erhalten habe. Weitere 10.000,- Mark der DDR habe er als "Kurkostenzuschuß" erhalten, ohne je ein Sanatorium aufgesucht zu haben. Zwar hätten die Vorwürfe das vorzeitige Ende von Mielkes Karriere bedeuten können, jedoch wurde er von Walter Ulbricht gedeckt, so daß die Ermittlungen eingestellt werden mußten. Was die Staatssicherheit in den Folgejahren so gefährlich machte, war vor allem die völlig fehlende Kontrolle durch ein Parlament, unabhängige Gerichte oder freie Medien. Dennoch flüchteten bis zum Mauerbau 1961 hunderte von unzufriedenen Mitarbeitern des MfS in den Westen, die für die westlichen Dienste zu wichtigen Informationsquellen wurden. In diesem Zeitrahmen ließ Walter Ulbricht seinen "Mann für´s Grobe" nicht bis in das Politbüro aufrücken, so daß Mielke zunächst nur Mitglied der Volkskammer wurde. In der Zeit des Mauerbaus gehörte Mielke dem Koordinierungsstab dieser Maßnahme an; bis 1989 hütete er ein entsprechenden Bildband mit Aufnahmen, die auch ihn in der Nacht zum 13. August 1961 zeigten.
    Bereits Anfang 1968 litt der mittlerweile 60- jährige Mielke zunehmend unter gesundheitlichen Problemen. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten u.a. eine Hirnblutung, eine Schädigung der Herzkranzgefäße und Arteriosklerose, so daß er zunehmend überlange Arbeitszeiten vermied und arbeitsfreie Wochenenden verlebte. Im April 1971 wurde Walter Ulbricht gestürzt, Erich Mielke schlug sich rechtzeitig auf die Seite seines Nachfolgers Erich Honecker und wurde dafür belohnt. Er rückte als Kandidat und 1976 als Mitglied in das Politbüro auf, allerdings wurde in den eigentlichen Sitzungen kaum über Angelegenheiten des MfS gesprochen. Stattdessen saß Mielke nach jeder Sitzung mit Honecker und Wirtschaftslenker Günter Mittag in Vieraugengesprächen zusammen. Offensichtlich wurde , daß Mielke der zweite Mann im Staat hinter Honecker geworden war, wobei eine Rolle gespielt haben mag, daß Mielke in seinem persönlichen Tresor NS- Justizakten deponiert hatte, die dessen Rolle als angeblichen Widerstandskäpfer in der Zeit des Dritten Reiches deutlich in Frage stellten. Inwieweit Honecker davon konkrete Kenntnis besaß, ist unter Historikern bis heute umstritten.
    Trotz einiger Liberalisierungsschübe war und bleib Erich Mielke Stalinist alter Schule. Zu seinen Mitarbeitern verhielt er sich distanziert, dagegen liebte er es, sich in Szene zu setzen und alle wesentlichen Entscheidungen über seinen Schreibtisch laufen zu lassen, wobei ihm sein enzyklopädisches Gedächtnis gute Dienste leistete. Im Jahre 1982 wurde er 75 Jahre alt, hielt sich weitgehend an die Weisungen seiner Ärzte, doch das Alter forderte unerbittlich seinen Tribut. Mielke verhaspelte sich zunehmend bei seinen Ausführungen, klammerte sich dennoch weiterhin an die Macht, die seine geringe Körpergöße von 163 Zentimetern auch ein Stück weit kompensieren sollte. Erich Mielke fand Gefallen an militärischem Gepränge und inspizierte sein Wachregiment wie ein Armeegeneral. Auch frönte er der Jagdleidenschaft, wobei ihm das Wild ähnlich wie bei Erich Honecker weitgehend vor die Flinte getrieben wurde.
    Im Jahre 1989 war das Staatswesen der DDR weitgehend insolvent und völlig abhängig von der Vergabe neuer Kredite. Dennoch stieg die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS bis Ende 1989 auf über 90.000 Personen an, hinzu kamen knapp 200.000 inofizielle Mitarbeiter (IM). Trotz allem zeigten sich im Herbst 1989 SED- Führung und auch das MfS zunehmend handlungsunfähig, zumal die ideologische Rückendeckung des großen Bruders Sowjetunion diesmal weitgehend entfiel. Nahezu ohnmächtig erlebte Erich Mielke, wie in den Folgemonaten die DDR Stück für Stück unterging. Am 17. Oktober 1989 wurde Erich Honecker entmachtet, auch Erich Mielke stimmte im Politbüro zur Überraschung aller seiner Absetzung zu. Am 13. November erfolgten vor der Volkskammer der DDR seine "letzten Worte": "Ich liebe doch alle...alle Menschen...ich setze mich doch dafür ein." Ab Oktober 1990 saß Mielke im Untersuchungsgefängnis Moabit ein und litt zunehmend an Arteriosklerose, Hypertonus, Bradykardien, Lungenfunktionseinschränkungen und Depressionen aufgrund seines völligen Machtverlustes. Dennoch wurde er im Oktober 1993 zu sechs Jahren Haft verurteilt und und wurde Ende 1995 aus dieser entlassen. Der mittlerweile 88- jährige lebte anschließend mit Ehefrau Gertrud in einer Plattenbau- Wohnung in Hohenschönhausen. Anfang 2000 kam er in ein Pflegeheim und verstarb dort am 21. Mai 2000 im beachtlichen Alter von 93 Jahren.

    www.youtube.com/watch?v=r2qijqCNdT0

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    Mittwoch, 8. November 2023, 14:59

    Alexander Schalck- Golodkowski - Der Devisenbeschaffer

    Er erwirtschaftete für den ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden über 28 Milliarden an Devisen, stand als konzilianter Unterhändler bei westdeutschen Politgrößen hoch im Kurs und handelte zur Überraschung aller mit Franz- Josef Strauß, der als Kommunistenfresser galt, zwei Milliardenkredite aus. Im Herbst 1989 war der Staatssekretär im DDR- Außenhandelsministerium Alexander Schalck- Golodkowski sogar für einen Chefposten der neuen DDR- Regierung im Gespräch. Doch dann machten lancierte Berichte über fragwürdige Geschäfte einiger Firmen des von ihm geleiteten Bereichs "Kommerzielle Koordinierung" (KoKo) aus dem Hoffnungsträger einer reformierten DDR schnell einen Buhmann. Aus Angst um sein Leben setzte er sich in der Nacht zum 3. Dezember 1989 nach West- Berlin ab, stellte sich den westdeutschen Justizbehörden, wanderte in Untersuchungshaft und kooperierte von sich aus mit dem Bundesnachrichtendienst (BND).
    Für die deutsche Öffentlichkeit war Schalck fortan der "Devisenbeschaffer", der "Goldfinger Ost" oder auch der "Stasi- Mafioso". Der einstige Wirtschaftsfunktionär und MfS- Offizier im besonderen Einsatz wehrte sich zeitlebens gegen das ihm angehängte Image eines zwielichtigen Geschäftemachers. "Ick hab nich beschafft, ick hab erarbeitet", sagte der Berliner im Jahre 2000 in einer seiner letzten öffentlichen Äußerungen. Bereits ein Jahr zuvor wurde das letzte von rund achtzig Strafermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt. Die Vorwürfe reichten von Betrug, Untreue, Spionage bis hin zu Embargo- und Devisen- Vergehen. Lediglich in zwei Fällen wurde er wegen Embargo- Vergehen zu Haftstrafen von insgesamt 16 Monaten auf Bewährung verurteilt. Damals ging es um den Import von Nachtsichtgeräten und Jagdwaffen aus der Bundesrepublik und um den Bezug von Bauteilen für die Mikrochip- Produktion in der DDR.
    Auch der Mythos vom zwielichtigen Koko- Imperium, das mit zweifelhaften Methoden märchenhafte Reichtümer anhäufte, wurde in den letzten Jahren durch die historische Forschung widerlegt. Zwar waren einige der Koko- Unternehmen in der Tat in fragwürdige Geschäfte wie Waffenhandel, Handel mit Kunstgütern, Häftlingsfreikäufe oder die Versorgung der DDR- Nomenklatura mit Westwaren verwickelt, doch die überwiegende Mehrzahl der Aktivitäten der KoKo waren ganz normale Außenhandelsgeschäfte. Gehandelt wurden überwiegend Kraft- und Brennstoffe, Lebensmittel, Baustoffe oder auch mit der Entsorgung von Westmüll.
    Den größten Erfolg der Karriere von Alexander Schalck- Golodkowski stellten jedoch die beiden Milliardenkredite westdeutscher Großbanken dar, die er in den Jahren 1983 und 1984 gemeinsam mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU- Vorsitzenden Franz- Josef Strauß einfädelte. Wahrscheinlich ist, daß diese beiden Kredite die DDR noch einmal für einige Jahre vor der endgültigen Zahlungsunfähigkeit bewahrte. In den darauffolgenden Jahren gewann Schalcks Rolle als Unterhändler in den deutsch- deutschen Beziehungen eine immer größere Bedeutung. In dieser Funktion war seit Mitte der 80er Jahre der damalige Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble sein wichtigster Ansprechpartner. Die Verbindungen zu Strauß, Schäuble und anderen hochrangigen Politikern und Wirtschaftsvertretern beschäftigten in den frühen 90er Jahren Untersuchungsausschüsse im Bundestag sowie im Bayerischen Landtag. Beide Gremien sollten feststellen, ob Schalck bei fragwürdigen oder gar strafbaren Aktivitäten Unterstützer im Westen hatte. Für derartige Verbindungen konnten allerdings keine Beweise gefunden werden.
    Als Alexander Schalck- Golodkowski am 21. Juni 2015 knapp 83- jährig in seinem Domizil am Tegernsee starb, lebten sie dagegen alle noch einmal auf: die Legenden von veruntreuten Millionen und verschwundenen Milliarden, von "Bonns bestem Mann im Osten", den der BND gedeckt, den die Justiz verschont und den wichtige Leute in der westdeutschen Politik und Wirtschaft unterstützt haben sollen. Der Erkenntnisstand der frühen 90er Jahre feierte hier noch einmal seine fröhliche Wiederauferstehung. Die Legenden um den KoKo - Erfinder paßten aber auch hervorragend zu dem Versprechen der letzten DDR- Regierungen, endlich mit den alten, verkrusteten Strukturen aufzuräumen. Schalck, der berlinernde Macher- Typ mit Sonnenbrille, der der DDR jährlich zwei Milliarden an Devisen erwirtschaftete, der seine Anweisungen direkt von Staats- und Parteichef Honecker erhielt, der Oberst des MfS war und der von Erich Mielke bei seinen wirtschaftlichen Aktivitäten mit dem Westen gedeckt wurde. Und der gemeinsam mit Strauß und Schäuble bis zum endgültigen Untergang der DDR deutsch- deutsche Politik machte. Für Schalck war der Fall im Jahre 2000 dagegen sonnenklar: "Ick hab für die DDR gekämpft, und wir haben am Ende verloren."

    www.youtube.com/watch?v=IMywcB11UWY