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    Samstag, 3. Juni 2023, 15:19

    Der schwarze Kanal

    Kennengelernt habe ich ihn und seinen Moderator erst in den frühen 80er Jahren, als ich von der Rhein- Ruhr- Schiene zwecks Studium in die niedersächsische Landeshauptstadt zog. Beeindruckt war ich weniger von den Inhalten des Formats, was vor allem daran lag, daß ich beide deutsche Staaten aufgrund vieler Verwandtenbesuche recht gut aus eigener Anschauung kannte. Vielmehr war es die Dialektik eines Karl- Eduard von Schnitzler, die mich damals beeindruckt hat. Ganz abgesehen davon, daß der als "Salonbolschewik" bekannte langjährige Moderator dieses Formats auch den Konsumgütern des kapitalistischen Westens durchaus nicht abgeneigt war, z.B. im Rahmen ausgiebiger Einkäufe im Westberliner "KaDeWe", das bekanntlich so ziemlich alles vorhielt, was der Westen an erstrebenswerten Konsumgütern zu bieten hatte.
    "Der schwarze Kanal" war ein augesprochenes Kind der 60er Jahre, wurde ab 21. März 1960 regelmäßig ausgestrahlt und verstand sich als Antwort des Fernsehens der DDR auf das Westformat "Die rote Optik", das zwischen 1958 und 1960 lediglich alle drei Monate vom NDR gesendet wurde, bei uns im Gegensatz zum "Kanal" weitgehend in Vergessenheit geraten ist und Ausschnitte aus Sendungen des DDR- Fernsehens als Propaganda entlarven sollte. Entsprechend verstand sich der Titel "Der schwarze Kanal" als Anspielung auf "Die rote Optik".
    Nun ging Karl- Eduard von Schnitzler in seiner Rolle als Moderator durchaus nicht nur plump- agitatorisch gegen Fernsehsendungen des Westens vor, sondern legte seine Finger gelegentlich durchaus auch in tatsächliche Wunden des kapitalistischen Systems, wenn auch meist polemisch völlig überzeichnet. Seinen Gegenpol und Reibungspunkt fand das Format dann insbesondere zwischen 1969 und 1988 in dem "ZDF- Magazin" unter der Moderation eines Gerhard Löwenthal.
    "Der schwarze Kanal" hatte über fast drei Jahrzehnte seinen festen Sendeplatz jeweils Montagabends vor 22 Uhr, wobei die Sendezeit durch die vorausgegangene Ausstrahlung von alten UFA- Spielfilmen etwas variieren konnte. Aufgrund seiner "gesellschaftlichen Bedeutung" wurde die aktuelle Folge jeweils Dienstag um 11:30 noch einmal wiederholt. Im Zuge der politischen Wende setzte das DDR- Fernsehen am 30. Oktober 1989 nach beachtlichen 1519 Folgen die Sendung endgültig ab. Interessant wäre, Näheres über die jeweiligen Einschaltquoten des "Kanals" zu erfahren. Nach selbstredend nicht repräsentativen Umfragen unter meinen in der DDR lebenden Verwandten aus den 70er Jahren galt Schnitzlers Format in weiten Kreisen der DDR- Bevölkerung damals eher als "Unprogramm", das kaum gesehen wurde. Ein Phänomen bleibt dennoch, warum die von den meisten Bewohnern der DDR leicht zu empfangenden Westsender nicht einfach nachhaltig gestört wurden, was technisch ohne weiteres machbar gewesen wäre. Darauf angesprochenene Entscheidungsträger der damaligen Jahre äußerten sich dahingehend, daß ARD und ZDF von den Parteiorganen der SED auch in ihrer Ventilfunktion für große Teile der DDR- Bevölkerung gesehen worden wären und man daher von Störungen dieser Programme abgesehen hätte, zumal dies auch zu massiven Protesten hätte führen können.
    Während Karl -Eduard von Schnitzler in den 60er Jahren noch Wert darauf legte, mit seinem "Kanal" möglichst breite Zielgruppen zu erreichen, beugte er sich seit den 70er Jahren zunehmend der Realität und fokussierte seine Einlassungen zunehmend auf Parteifunktionäre, Offiziere der NVA (denen der Konsum des Westfernsehens untersagt war), Lehrer, Journalisten und andere "gesellschaftlich relevante" Gruppen, die als Multiplikatoren dienen sollten. Dabei wurden in altbekannter Agitprop- Manier die westdeutschen Nachrichten- und Magazinsendungen als einseitige Propaganda des Klassenfeindes dargestellt.
    Interessant sind Erhebungen des "Deutschen Rundfunkarchivs", das eine wohl tatsächlich existente "Sehbeteiligungskartei" des "Schwarzen Kanals" zwischen 1965 und 1990 archiviert hat. Demnach soll die Sendung in den ersten Jahren ihres Bestehens eine durchaus beachtenswerte Einschaltquote zwischen 14 und 25 Prozent gehabt haben, während sie ab Ende der 70er Jahre kaum noch zweistellige Werte aufzuweisen hatte und bis zum Ende der DDR im Gleichklang mit dem zunehmenden teilweisen Verfall ihrer Infrastruktur auf Durchschnittsquoten zwischen 3 und 5 Prozent absank.
    Schnitzler, der ursprünglich bei der BBC und beim Nordwestdeutschen Rundfunk gearbeitet hatte, wurde durch den "Schwarzen Kanal" zu einem der bekanntesten Kommentatoren der DDR- Medien, was auch für große Teile der Bundesrepublik dieser Jahre zutraf.
    Erhalten geblieben sind rund 350 Folgen von insgesamt 1519 Folgen des "Schwarzen Kanals", die von westlichen Einrichtungen während der jeweiligen Live- Ausstrahlungen der Sendung aufgezeichnet wurden, während Schnitzler, aus welchen Gründen auch immer, die Sendungen in der DDR jeweils wenige Tage nach ihrer Ausstrahlung vernichten ließ. Jedoch sind die jeweiligen Manuskripte weitgehend erhalten und können heute im "Deutschen Rundfunkarchiv" eingesehen werden. Darüber hinaus sind 33 Folgen der Sendung im Handel auf einer zwölfstündigen DVD- Box erhältlich.

    www.youtube.com/watch?v=UF3_1OnzLyY
    www.youtube.com/watch?v=1_NXjvH1law
    www.youtube.com/watch?v=IDJVQia1sKI
    www.youtube.com/watch?v=elUmO4Va7cA