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    Mittwoch, 24. Mai 2023, 15:13

    Charles Wilp, Uschi Nerke und die APO - Die Teenage Fair in Düsseldorf 1969

    Im Sommer 1969 bekamen wir mit H.J. Schlechtriem unseren neuen Klassenlehrer für die Jahre 1969/1971, als damals Zwölfjähriger mußte ich einmal in der Woche zum Katechumenenunterricht, und im August dieses Jahres fuhren wir für ca. zwei Wochen zu meinen Verwandten nach Stendal in der DDR oder in der "Zone", wie meine Verwandten damals noch salopp zu sagen pflegten. Gleichzeitig fand nicht weit von meinem Wohnort die erste deutsche "Teenage Fair" als "Ausstellung für junge Leute" in den Düsseldorfer Messehallen zwischen dem 23. und 31. August statt, zu der das Nachrichtenmagazin "Spiegel" in seiner Ausgabe 34/1969 einen zeitgemäßen Artikel beisteuerte, der es durchaus in sich hatte und uns einiges über die damalige Aufbruchsstimmung im Lande verrät. Nur ganz nebenbei: ich selbst habe damals von dieser Jugendmesse, die fast in unserer Nachbarschaft stattfand, absolut nichts mitbekommen und erst in den 80er/90er Jahren durch einen philatelistischen Erinnerungsbeleg, der mir eher zufällig in die Hände fiel, davon erfahren.

    Teenage Fair - Kampf der Bakterie
    "Ich inszeniere eine Lustorgie ohnegleichen", verspricht Afri- Cola Werbeberater Charles Wilp für Deutschlands erste Junge- Leute- Messe, die "Teenage Fair ´69". Teens und Twens sollen, von Samstag dieser Woche an, in Düsseldorfs Messehallen neun Tage lang durch geballte Beat- und Pop- Atmosphäre planmäßig "enthemmt" werden. Modehäuser, Banken, Automobilfabrikanten und Getränkehersteller haben- von psychedelischen Lichtspielen bis zu Mondschein- Feten und von Schlagerstar Roy Black bis Alt- Rennfahrer Juan Fangio alle und alles aufgeboten, um das Jungvolk in einen dauerhaften Konsum- Rausch zu versetzen.
    Der Einsatz ist hoch. Kurt Schoop, Hauptgeschäftsführer der Düsseldorfer Messegesellschaft, schätzt allein seine Ausgaben für die Fair, die nicht als Verkaufsmesse, sondern als reine Show geplant ist, auf rund eine Million Mark. Den Gegenwert veranschlagt Schoop höher: Westdeutschlands 8,5 Millionen 14- bis 24-jährige können für den persönlichen Bedarf jährlich rund 20 Milliarden Mark ausgeben.
    Doch während noch an den luxuriös ausgestatteten Ständen der 103 Aussteller sowie an drei überdimensionalen Antibabypillen (!) von Charles Wilp mit installierten Lichtorgeln gezimmert wird - und während vier hübsche Mädchen mit einem alten Autobus in über 150 Städten und Dörfern für die Messe werben- probt in der Altstadt Düsseldorfs die APO bereits Aktionen und Proteste gegen die "Konsumbakterie" Teenage Fair.
    Das APO- Konzept: Kabaretts und Straßenthater vor den Messehallen sollen die Gäste über ihre Rolle als manipulierte Opfer der Werbung aufklären. Protestscharen werden den ausstellenden Brauereien und Limonade- Herstellern den Stoff wegtrinken und arglose Jungkonsumenten aus der Provinz von den Gnadenbildern ihrer Konsum- Wallfahrt wegdiskutieren. In die linke Einheitsfront gegen "Konsumterror und Konsumidiotie" reihten sich auch die SDS- Aktiven aus der Nachbarstadt Neuß sowie Schülerzeitungs- Redakteure, Vertreter der Schülermitverwaltungen und die Mitglieder des Republikanischen Zentrums ein. Sie prangern an, was die Marktstrategen aus Werbung, Handel und Industrie als hohe Leistung feiern: die immer subtileren Untersuchungen über Kaufwünsche und Kaufgewohnheiten der Jugend...
    Großunternehmen wie C & A, Philips, Coca- Cola und Henkel sind bereits massiv in den noch wenig erschlossenen Markt eingedrungen. Werbeserien und Verkaufkampagnen wurden eigens auf die Jungkäufer abgestellt...
    Doch gerade aus dem Lager der scheinbar konsumhörigen Teens und Twens droht der Düsseldorfer Messe jetzt Ungemach. Für APO- Schüler und Studenten war die Teenage Fair willkommener Anlaß, die auf das Geschäft mit der Jugend erpichten Unternehmer und ihre optimistischen Berater gezielt zu verunsichern. Mit welchem Erfolg, wagen die Protestler noch nicht zu prophezeien. Immerhin hat die Auflehnung gegen die Konsumgewaltigen schon zwei Teenager- Messen platzen lassen. 1968 riefen 20 Stockholmer Jugendorganisationen zum Boykott der ersten Teenage Fair in Schwedens Hauptstadt auf. Eine "Anti- Messe" warf Veranstalter und Ausstellern vor, die Jugend zu betrügen und auszuplündern. Statt der erwarteten 60.000 zählte die Messe nur 10.000 Besucher, der Veranstalter ging mit 300.000 Mark Schulden in die Pleite.
    In Berlin kam, im Mai dieses Jahres, die Jugendmesse "Kicks" erst gar nicht zustande, hauptsächlich aus Sorge vor APO- Krawallen; zudem zeigten zuwenig Aussteller Interesse. 150.000 Mark wurden für die Vorbereitung umsonst ausgegeben.
    Die Düsseldorfer Messeleitung indes gibt sich furchtlos. Sie will die angekündigten Proteste "weich" (Schoop) auffangen und die APO- Aktivitäten sogar für die Show nutzbar machen. Einige tausend Neugierige könnten auf diese Weise, so hofft Schoop, zu den erwarteten 100.000 Besuchern hinzugewonnen werden. Auch gegen Schlimmeres hat Düsseldorfs Messe- Chef Kurt Schoop sich gewappnet: "Die Versicherungen sind extra hoch abgeschlossen."

    Wie es auf der "Teenage Fair ´69" in Düsseldorf tatsächlich zugegangen ist und ob die Veranstaltung letztendlich ein kommerzieller Erfolg wurde, läßt sich u.U. auf den entsprechenden Facebook- Seiten ermitteln, die den geneigten Lesern offenstehen. ;). Siehe hierzu auch die untenstehend verlinkten Clips:

    www.filmothek.bundesarchiv.de/video/584873?set_lang=de
    www.youtube.com/watch?v=wJjC7HbiLfs