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    Dienstag, 10. August 2021, 14:49

    Die Spiegel- Affäre

    Eine erste ernsthafte Bewährungsprobe für die Standhaftigkeit der Medien in der damals noch recht jungen bundesdeutschen parlamentarischen Demokratie bot die sogenannte "Spiegel- Affäre" von 1962.
    Worum ging es ? Am 8. Oktober 1962 erschien im "Spiegel" die Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit", in der der Autor und stellvertretende Chefredakteur, Conrad Ahlers, aus Anlaß des NATO- Herbstmanövers brisantes Material über die Mängel in der Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr veröffentlichte. Unter anderem behauptete Ahlers, daß der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß sowie zumindest ein Teil der bundesdeutschen Generalität die Doktrin von der massiven Vergeltung auch unter dem Einsatz von Atomwaffen bevorzugten, während die neuen Pentagon- Strategen der Kennedy- Administration im Ernstfall flexibel reagieren wollten ("flexible response").
    Der Artikel schien auf den ersten Blick militärische Geheimnisse preiszugeben, und die Bundesanwaltschaft warf dem Magazin Landesverrat sowie die Bestechung von Offizieren der Bundeswehr vor. Achtzehn Tage später stürmten in einer nächtlichen Aktion fünfzig Polizisten die Redaktionsräume des "Spiegel" in Hamburg (ähnliches passierte in der Bonner Redaktion) und durchsuchten sie nach entsprechendem Beweismaterial.
    Die Polizei verhaftete mehrere Redakteure, darunter den Herausgeber des "Spiegel", Rudolf Augstein, der erst im Februar 1963 wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.
    Wie sich erst später herausstellte, hatte Verteidigungsminister Franz Josef Strauß die Durchsuchungen und Festnahmen unter weitgehender Mißachtung der gesetzlichen Grundlagen veranlaßt. Wochenlang blieben die Redaktionsräume des "Spiegel" blockiert, auch ließ sich die Bundesanwaltschaft quasi als Zensor aktuelle Druckfahnen des Magazins vorlegen, auch dies eine Maßnahme gegen geltendes Recht und Gesetz.
    Erst Ende November 1962, nachdem zahllose Papiere gesichtet und teilweise beschlagnahmt wurden, gab man die Redaktionsräume wieder frei.
    In der Bundestagsdebatte vom 7. November 1962 sprach Bundeskanzler Konrad Adenauer von "einem Abgrund von Landesverrat" und traf damit eine nicht ganz unbedenkliche Vorverurteilung, um dadurch die Vorgehensweise der Bundesanwaltschaft zu rechtfertigen. Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, daß Franz Josef Strauß die Öffentlichkeit und das Parlament mehrfach belogen hatte. Nach den Gepflogenheiten der damaligen Zeit hätte Strauß daraufhin von seinem Amt zurücktreten müssen, was er jedoch nicht tat. Daraufhin traten am 19. November 1962 die fünf der FDP angehörigen Minister von ihren Ämtern zurück, um so den Rücktritt von Strauß zu erzwingen. Einen Tag später erfolgte der Rücktritt aller CDU/CSU- Minister von ihren Ämtern, wobei vier von ihnen erklärten, nur einem neu zu bildenden Kabinett ohne Franz Josef Strauß angehören zu wollen.
    Am 14. Dezember 1962 nahm das fünfte Kabinett Adenauer seine Arbeit auf; Strauß gehörte ihm nicht mehr an. Als neuer Verteidigungsminister amtierte Kai- Uwe von Hassel.
    Im Grunde entwickelte sich die "Spiegel- Affäre" in ihrem Verlauf immer mehr zur "Strauß- Affäre", auch wenn Strauß einen ihm unterstellten Racheakt gegen den "Spiegel" stets als "Unfug" bezeichnete. Von der Hand zu weisen war dies nicht, denn seit Jahren hatte das Hamburger Magazin einen geradezu verbissenen Kampf gegen den bayerischen Politiker geführt, ihm antidemokratische Ambitionen unterstellt und bereits Mitte 1961 in epischer Breite über die "FIBAG- Affäre" berichtet. Bei der Auftragsvergabe für den Bau von Kasernen für amerikanische Truppen sollten Bekannte von Franz Josef Strauß begünstigt worden sein. Der Verteidigungsminister hatte diese Reportagen mit Verleumdungsanzeigen beantwortet, und so steigerte sich die gegenseitige Feindschaft bis hin zur "Spiegel- Affäre".
    Der CSU in Bayern schadete die "Strauß- Affäre" nicht, im Gegenteil erfolgte seitens der bayerischen Bevölkerung eine breite Welle der Solidarisierung mit dem "verfolgten FJS" , sodaß die CSU bei den kurz darauf folgenden Landtagswahlen die absolute Mehrheit an Mandaten erringen konnte, mit der die Ära Alfons Goppel und die langjährige CSU- Alleinherrschaft in Bayern begann.
    Nicht wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Ränkespiele ist die "Spiegel- Affäre" so bedeutsam für die noch frühe Geschichte der Bundesrepublik geworden, sondern weil sie damals eine ungeheure Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden hat. Die teilweise äußerst fragwürdigen Aktionen seitens des Rechtsstaats riefen bundesweit heftige Proteste und Empörung hervor. Nahezu einhellig verurteilte die damalige bundesdeutsche Medienlandschaft das Vorgehen der Behörden als deutlichen Eingriff in die Pressefreiheit, auch gab es in zahlreichen Städten mehr oder weniger große Demonstrationen.
    Rund 60 Jahre nach den damaligen Ereignissen stellt sich immer noch die Frage, ob mit den getroffenen Maßnahmen geradlinigen und staatskritischen Journalisten dieser Zeit nicht auch ein "Maulkorb" verpaßt werden sollte. Viele Historiker sind heute der Auffassung, daß die Formierung einer breiten inneren Opposition von 1962 ein wichtiger Schritt zum politischen Machtwechsel des Jahres 1969 gewesen sei. Auch hätte die aufkeimende Protestwelle einen Grad an Demokratieverständnis in großen Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung aufgezeigt, an dem es in Weimar noch gemangelt habe.

    www.youtube.com/watch?v=_v2tmWZvJPk

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    Mittwoch, 11. August 2021, 17:36

    Vielen Dank, Uwe, das war sehr interessant.