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    Samstag, 10. April 2021, 20:51

    Die Fernseh- und Familienzeitschrift, die alle Rekorde brach - Zur Geschichte der HÖR ZU

    Neue Trends zu erspüren, gehört zu den wichtigsten Eigenschaften, die ein Zeitschriftenverleger braucht, um nachhaltig am Markt erfolgreich zu sein. Einem Axel Cäsar Springer ist dies vor allem mit einer Publikation dank ihres überragenden Chefredakteurs nachhaltig gelungen.
    Zu den erfolgreichsten Magazinen der Nachkriegszeit gehört die Programmzeitschrift "HÖR ZU", die seit über siebzig Jahren Millionen von Haushalten informiert und unterhalten hat.
    Eine "modern und ansprechend aufgemachte Programmzeitschrift" schwebte dem jungen Verleger Springer vor, wie sein Schreiben vom 22. Februar 1946 belegt. Im den britischen Besatzungsbehörden zugeleiteten verlegerischen Konzept hieß es: "Wir glauben darauf hinweisen zu dürfen, daß das Erscheinen einer Rundfunkzeitschrift zu den vordringlichsten Aufgaben gehört. "
    Ideengeber für die Entwicklung des neuen Blattes war das Multitalent Eduard Rhein. Er hatte Naturwissenschaften und Medizin studiert; ebenso hatte Rhein bereits in den zwanziger Jahren für verschiedene Zeitschriften in Berlin gearbeitet und sich ganz nebenbei als Erfinder elektronischer Geräte hervorgetan. Springer gewann die sehr selbstbewußte Persönlichkeit Rhein für sein neues Projekt, dessen erster Arbeitstitel "Radio- Post" lautete, und ließ ihm weitgehend freie Hand bei der Gestaltung des Blattes.
    Rhein entwickelte die "HÖR ZU !", wie der endgültige Titel der ersten Ausgabe vom 11. Dezember 1946 lautete, als eine intelligente Kombination alter und völlig neuer Ideen. So nutzte die junge Zeitschrift von Anfang an Fotos als sinnvolle und gleichzeitig attraktive Ergänzung des Textangebots.
    Schnell entwickelte sich die "Hör Zu" zum Marktführer im Segment der Programmzeitschriften. Zwar hatte es in den alliierten Besatzungszonen bereits ähnliche Publikationen gegeben, wie die "Radio- Woche" aus Stuttgart, die "Radio- Welt" aus München oder die "Radio- Revue" aus Westberlin. Doch all diese Periodika hielten sich nicht lange am Markt, weil ihnen die zündenden Ideen und teilweise auch fachlich kompetentes Personal fehlten.
    Eduard Rhein dagegen traf schnell den Geschmack des Nachkriegspublikums. Sein Konzept einer Programmzeitschrift, die zugleich Familienillustrierte war, setzte sich schnell durch. Bis 1950 vervierfachte sich die Auflage der "HÖR ZU" von zweihundertfünfzigtausend auf über eine Million. Wesentlichen Anteil daran hatte die Illustriertensparte. So erschienen auch Fortsetzungsromane aus Rhein´s Feder, die nicht unwesentlich zur Leserbindung beitrugen. Oft handelte es sich um Liebesschnulzen, darunter fanden sich aber auch Texte wie "Suchkind 312", die Geschichte eines namenlosen Kindes aus den deutschen Ostgebieten, die den Nerv der damaligen Leserschaft traf.
    Rückblickend nannte Axel Springer den Gründungs- Chefredakteuer Eduard Rhein, der die Auflage der "HÖR ZU" bis 1964 auf gigantische 4,5 Millionen Exemplare gesteigert hatte, "genialisch". Jedenfalls ermöglichte der in diesem Ausmaß nicht erwartete Erfolg des Magazins in nicht unerheblichem Maße die Expansion des Axel Springer- Verlages in den fünfziger bis siebziger Jahren.
    Die schillernde Persönlichkeit Eduard Rhein verließ 1964 "unfreiwillig" den Axel Springer- Verlag und verstarb 1993 in Cannes.

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    Mittwoch, 14. April 2021, 12:43

    RE: Die Fernseh- und Familienzeitschrift, die alle Rekorde brach - Zur Geschichte der HÖR ZU

    Danke fuer den schoenen Artikel, Uwe!
    Mir gefielen in der HOER ZU (oder "Sieh fern mit Hoer ZU", wie sie spaeter hiess) vor allem die Artikel von Karin von Faber, der Hollywood Korrespondentin.
    Vor Jahren las ich eine Biographie ueber Eduard Rhein, ich fand sie wirklich faszinierend.
    https://www.amazon.de/-/en/Eduard-Rhein/…&s=books&sr=1-1

    Meine Eltern lasen zuerst die GONG, die dummerweise Altersempfehlungen im Programmteil hatte. Die Familie meiner besten Freundin Katti hingegen las die HOER ZU.
    Mit viel List gelang es mir um 1965 herum, meine Eltern von den vielen Qualitaeten der HOER ZU zu ueberzeugen, die wir dann bis 1974 lasen.
    Auch nach dem Auszug aus dem Elternhaus ab Oktober 1974 las ich die HOER ZU noch Jahre lang weiter, bis ich 1990 bei der Verlagsgruppe Milchstrasse in Hamburg meinen Traumjob fand, und kurz danach die Programmzeitschrift TV SPIELFILM aus der Taufe gehoben wurde, die ich dann alle 2 Wochen kostenlos im Verlag erhielt (die HOER ZU hatte zu dem Zeitpunkt keine 100 Seiten Umfang mehr, das Format war kleiner geworden, und die Artikel mittlerweile weniger interessant).
    Aber so uebersichtlich wie die HOER ZU war TV SPIELFILM leider nicht, und ab 1990 uebersah ich dann vieles im deutschen Fernsehen, beispielsweise auch die Wiederholung der "Hoehlenkinder" im KiKa (Kinder Kanal). Das lag nicht zuletzt an den vielen neuen Privatsendern wie RTL, Sat 1, Tele 5, Kabel Kanal und Pro7.

    Einige alte HOER ZU Hefte aus den 50er und 60er Jahren habe ich dank eiwennho sammeln koennen, und wenn ich sie heute wiederlese, dann stellt sich jedesmal viel Nostalgie ein.
    Dieses Buch habe ich mir vor Jahrzehnten zugelegt und kann es sehr empfehlen:
    https://www.amazon.de/-/en/dp/B0015P04LE…&s=books&sr=1-2

    Aehnlich war das Konzept der belgischen Kino- und Fernsehzeitschrift Ciné Télé Revue in den fruehen 70er Jahren, die ich mir jeden Woche bei Salzmann am Bohlweg in Braunschweig kaufte, das war ein internationaler Zeitschriftenladen, der leider schon seit vielen jahren nicht mehr existiert.

    Ciné Télé Revue hatte in der Mitte das Poster eines Hollywoodstars aus den 50er Jahren (ich erinnere mich an Michael Rennie, damals mein grosser Schwarm), und ihre aeltere Hollywood Korrespondentin hiess Joan MacGregor.
    Neue Trends zu erspüren, gehört zu den wichtigsten Eigenschaften, die ein Zeitschriftenverleger braucht, um nachhaltig am Markt erfolgreich zu sein. Einem Axel Cäsar Springer ist dies vor allem mit einer Publikation dank ihres überragenden Chefredakteurs nachhaltig gelungen.
    Zu den erfolgreichsten Magazinen der Nachkriegszeit gehört die Programmzeitschrift "HÖR ZU", die seit über siebzig Jahren Millionen von Haushalten informiert und unterhalten hat.
    Eine "modern und ansprechend aufgemachte Programmzeitschrift" schwebte dem jungen Verleger Springer vor, wie sein Schreiben vom 22. Februar 1946 belegt. Im den britischen Besatzungsbehörden zugeleiteten verlegerischen Konzept hieß es: "Wir glauben darauf hinweisen zu dürfen, daß das Erscheinen einer Rundfunkzeitschrift zu den vordringlichsten Aufgaben gehört. "
    Ideengeber für die Entwicklung des neuen Blattes war das Multitalent Eduard Rhein. Er hatte Naturwissenschaften und Medizin studiert; ebenso hatte Rhein bereits in den zwanziger Jahren für verschiedene Zeitschriften in Berlin gearbeitet und sich ganz nebenbei als Erfinder elektronischer Geräte hervorgetan. Springer gewann die sehr selbstbewußte Persönlichkeit Rhein für sein neues Projekt, dessen erster Arbeitstitel "Radio- Post" lautete, und ließ ihm weitgehend freie Hand bei der Gestaltung des Blattes.
    Rhein entwickelte die "HÖR ZU !", wie der endgültige Titel der ersten Ausgabe vom 11. Dezember 1946 lautete, als eine intelligente Kombination alter und völlig neuer Ideen. So nutzte die junge Zeitschrift von Anfang an Fotos als sinnvolle und gleichzeitig attraktive Ergänzung des Textangebots.
    Schnell entwickelte sich die "Hör Zu" zum Marktführer im Segment der Programmzeitschriften. Zwar hatte es in den alliierten Besatzungszonen bereits ähnliche Publikationen gegeben, wie die "Radio- Woche" aus Stuttgart, die "Radio- Welt" aus München oder die "Radio- Revue" aus Westberlin. Doch all diese Periodika hielten sich nicht lange am Markt, weil ihnen die zündenden Ideen und teilweise auch fachlich kompetentes Personal fehlten.
    Eduard Rhein dagegen traf schnell den Geschmack des Nachkriegspublikums. Sein Konzept einer Programmzeitschrift, die zugleich Familienillustrierte war, setzte sich schnell durch. Bis 1950 vervierfachte sich die Auflage der "HÖR ZU" von zweihundertfünfzigtausend auf über eine Million. Wesentlichen Anteil daran hatte die Illustriertensparte. So erschienen auch Fortsetzungsromane aus Rhein´s Feder, die nicht unwesentlich zur Leserbindung beitrugen. Oft handelte es sich um Liebesschnulzen, darunter fanden sich aber auch Texte wie "Suchkind 312", die Geschichte eines namenlosen Kindes aus den deutschen Ostgebieten, die den Nerv der damaligen Leserschaft traf.
    Rückblickend nannte Axel Springer den Gründungs- Chefredakteuer Eduard Rhein, der die Auflage der "HÖR ZU" bis 1964 auf gigantische 4,5 Millionen Exemplare gesteigert hatte, "genialisch". Jedenfalls ermöglichte der in diesem Ausmaß nicht erwartete Erfolg des Magazins in nicht unerheblichem Maße die Expansion des Axel Springer- Verlages in den fünfziger bis siebziger Jahren.
    Die schillernde Persönlichkeit Eduard Rhein verließ 1964 "unfreiwillig" den Axel Springer- Verlag und verstarb 1993 in Cannes.

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    Montag, 19. April 2021, 13:35

    Eduard Rhein - Die Geschichte einer außergewöhnlichen Karriere

    Wären Karrieren im Stile eines Eduard Rhein auch heute noch möglich ? Ich denke, in einem Zeitalter weitgehend gesättigter Märkte und einer geradezu überschäumenden beruflichen Stromlinienförmigkeit und "political correctness" eher nicht. Rhein´s Mutter war dagegen stets der Ansicht, daß sich ihr Sohn mit seinen zahllosen Aktivitäten völlig unnötig verzettelt habe.
    Tatsächlich war der im Jahre 1900 als Sohn einer Hoteliersfamilie in Königswinter geborene Diplom- Physiker ein ausgesprochenes Multitalent: innovativer Journalist, Schriftsteller mit Millionenauflagen sowie kreativer Erfinder.
    In den 1920er Jahren war Rhein zunächst als Ingenieur bei der AEG in Berlin tätig, in den Folgejahren dann als Referent beim Zentralverband der Deutschen Elektroindustrie. Doch schon in diesen Jahren konnte und wollte er sich nicht nur auf ein Metier konzentrieren. Ganz nebenbei schrieb er auch Romane, so etwa den Krimi "Das mechanische Gehirn" und trat auch als Salon- Musiker im Hotel Eden auf.
    Im Jahre 1929 stellte ihn der Ullstein- Verlag als Redakteuer für die Radio- Illustrierte "Sieben Tage" ein. Mit populärwissenschaftlichen Büchern wie "Du und die Elektrizität" sowie "Wunder der Wellen" produzierte Rhein seine ersten Bestseller. Parallel dazu widmete sich der unermüdliche Mann weiteren technisch- wissenschaftlichen Forschungen. So erfand er 1942 einen Schnell- Einschalter für Radios (welcher später bei vielen Fernsehgeräten Anwendung fand) und baute 1944 in der Endphase des Zweiten Weltkriegs ein Flak- Radargerät. Zwischendurch schrieb er noch das Libretto und die Liedtexte für Eduard Künnekes Operette "Traumland".
    Als die Alliierten 1946 die ersten Lizenzen für neue Pressepublikationen vergaben, suchte Axel Cäsar Springer einen findigen Chefredakteur für eine Rundfunkzeitschrift. Peter von Zahn und Axel Eggebrecht machten Springer auf den Tausendsassa Eduard Rhein aufmerksam. Dieser bekam die Position, bewies darin aber von Anfang an seinen ausgesprochenen Eigensinn. "Radio- Post" hätte das neue Blatt nach dem Willen der britischen Besatzer heißen sollen. Rhein bestand aber auf dem "agressiveren" Imperativ- Titel "Hör zu !". Nicht nur der originelle Titel war Rhein´s eigene Idee, sondern auch das darauf folgende Gesamtkonzept der jungen Zeitschrift. Geradezu legendär gewordene, teils noch heute existierende Rubriken wie "Original und Fälschung" gehen ursprünglich auf Eduard Rheins Ideen zurück. Darüber hinaus erinnerte er sich an einen sympathischen Igel aus einem Schulfilm und wandelte diesen kurzerhand in das Redaktionsmaskottchen "Mecki" um. Insgesamt vierzehn Mecki- Bücher verfaßte er im Lauf der Folgejahre ergänzend zu den entsprechenden "Hör Zu"- Rubriken.
    Auch einen Großteil der populären Fortsetzungsromane in der "Hör Zu" steuerte Rhein persönlich bei. Unter Pseudonymen wie Hans- Ulrich Horster, Klaus Hellmer oder Adrian Hülsen schrieb er Titel wie "Suchkind 312", "Ein Student ging vorbei" oder "Eheinstitut Aurora", die teilweise auch verfilmt wurden.
    Im Jahre 1965 war das Zeitschriftenformat "Hör Zu" auf dem Zenit seines Erfolgs angelangt. Mit 4,5 Millionen verkauften Exemplaren wurde sie zur erfolgreichsten Zeitschrift dieser Art in ganz Europa. In diesem Kontext wußte Eduard Rhein geschickt die Macht seiner Leserschaft einzusetzen. Er stritt für den Ausbau des UKW- Programms ("Wellen der Freude") und den Stereoempfang, auch warnte er früh vor den Gefahren der Schleichwerbung (der Begriff war seine ureigene Erfindung) . Und er setzte zu Recht von der ersten Ausgabe der "Hör Zu" im Herbst 1946 an auf das damals noch in der Entwicklung befindliche Medium Fernsehen, den "Zauberspiegel".
    1965 verließ Eduard Rhein den Springer- Verlag und damit auch die Redaktion des Verlagsflaggschiffs "Hör Zu". Axel Springer habe ihn "zwangspensioniert", weil seine Macht innerhalb des Verlagshauses zu groß und dem Verleger allmählich unheimlich geworden sei, schrieb Rhein in seinen späteren Memoiren mit dem Titel "Der Mann des Jahrhunderts". Ob dies nun der Wahrheit entspricht oder eher der Selbstüberschätzung Rheins geschuldet war, bleibt bis heute offen. Daß seine Lebenserinnerungen an einigen Stellen recht "geschönt" erscheinen, ist jedoch offensichtlich. Nicht erwähnt hatte Rhein z.B. Romane, die er unter dem Pseudonym "Claude Borell" veröffentlichte. Erfolgreiche Belletristik wie "Romeo und Julius" oder "Verdammt noch mal, ich liebe dich" war nichts weniger als ein ganzel Bündel homoerotischer Kitschromanzen, das durchaus seine Abnehmer fand.
    Wirklich vermögend wurde Eduard Rhein allerdings durch eine einzige seiner Erfindungen. Sein patentiertes "Füllschriftverfahren" von 1948 brachte die Langspielplatten von 46 Minuten auf 80 Minuten Spieldauer und machte den Erfinder zum Multimillionär. Dank weltweit fließender Tantiemen konnte Rhein im Jahre 1976 seine millionenschwere "Eduard Rhein- Stiftung" ins Leben rufen, die mit hoch dotierten Stipendien den wissenschaftlichen Nachwuchs fördert sowie Verdienste um den Aufbau von Rundfunk, Fernsehen und Informationstechnik würdigt.
    Eduard Rhein, der "im Alter" an die warme Cote d´Azur zog, wurde noch zu seinen Lebzeiten mit einem halben Dutzend Auszeichnungen für sein Werk geehrt. Viel wichtiger war dem 1993 nach einem Schlaganfall in Cannes verstorbenen Radio- und Fernsehpionier aber eine ganz andere "Auszeichnung": im Jahre 1953 erhielt er offiziell die allererste "Fernsehteilnehmerlizenz" Deutschlands !

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    Dienstag, 20. April 2021, 14:00

    Die Chefredakteure der HÖR ZU

    Da Chefredakteure oft die "generelle Marschrichtung" von Periodika vorgeben, erscheint es meines Erachtens durchaus lohnenswert, sich näher mit einigen dieser Persönlichkeiten zu befassen und so z.B. den speziellen Werdegang einer Zeitschrift wie der HÖR ZU plausibler erscheinen zu lassen . Zunächst jedoch "der Form halber" eine kurze Auflistung aller Chefredakteure der HÖR ZU von ihrer Gründung bis zur Jahrtausendwende:

    1. Eduard Rhein (1946 - 1965)
    2. Hans Werner Bluhm (1965 - 1974)
    3. Peter Bachér (1974 - 1985)
    4. Felix Schmidt (1985 - 1987)
    5. Helmut Reinke (1987 - 1989)
    6. Klaus Stampfuss (1989 - 1997)
    7- Andreas Petzold (1997 - 1999)
    8. Michael Lohmann (1999 - 2001)

    Zur Vita Eduard Rhein´s, dem "Gründervater" der HÖR ZU, siehe den ausführlichen Blog weiter oben.

    Hans Werner Bluhm, der zweite Chefredakteur des Blattes, wurde am 2.7.1922 in Wittenberge geboren. Nach seinem Militärdienst startete er seine journalistische Laufbahn 1947 beim "Hamburger Echo" unter der damaligen Leitung Herbert Wehners (!). 1949 wurde er Redakteur bei der "Hamburger Morgenpost". 1953 wechselte er zu Axel Springer, wo er zunächst Ressortleiter der BILD- Zeitung wurde. Zwischen 1960 und 1964 war er Chefredakteur von "Bild am Sonntag", bis er zwischen 1965 und 1974 die Chefredaktion der HÖR ZU übernahm. Bluhm gilt als der Initiator der "Goldenen Kamera", die 1966 erstmals von der HÖR ZU verliehen wurde.
    Hans Werner Bluhm galt gemeinhin als politisch linksliberal. Von daher ist die Versetzung Bluhms von der damals nationalkonservativen "Bild am Sonntag" in die Chefredaktion der HÖR ZU als eindeutige politische Entscheidung Axel Springers zu betrachten. Bluhm brachte eine Reihe seiner Mitarbeiter von der "Bild am Sonntag" mit und installierte mit Karin von Faber sogar eine weibliche Chefreporterin, was für die damalige Zeit ein absolutes Novum war.
    Erstmals in der Geschichte der HÖR ZU durften die redaktionellen Artikel nun namentlich gezeichnet werden, wurden Ressortleiter bestimmt und diese auch im Impressum benannt. Insgesamt setzte Bluhm zeitentsprechend mehr auf die Eigenverantwortung und die Kreativität seiner Redakteure , die für ihre Arbeit auch übertariflich entlohnt wurden. Die Themen wurden nun nicht mehr, wie unter Eduard Rhein allgemein üblich, ausschließlich vom Chefredakteur vorgegeben, sondern auf regelmäßig stattfindenden Redaktionskonferenzen diskutiert.
    Bluhm gelang so eine sukzessive Modernisierung der HÖR ZU, so z.B. durch die Rubrik "HÖR ZU für junge Leute", die insbesondere Jugendliche ansprechen sollte. 1967 rief die Zeitschrift zu einem "Klebewettbewerb" auf, und 1968 gab es einen "Schlagertextwettbewerb für junge Leute". 1969 entwarf Bluhm einen Aufsatztextwettbewerb für Jugendliche, die über ihre Meinung zum Fernsehen und die Bedeutung für ihr persönliches Leben schreiben sollten.
    Unter der Ära Bluhm wurde der von Rhein oft gepflegte kritische Umgang mit den Funkhäusern aufgegeben und wich einer ausgesprochenen Kooperation. Dazu gehörte die jährliche Verleihung der "Goldenen Kamera", mit der sieben Darsteller, Regisseure oder Moderatoren ausgezeichnet wurden. Außerdem wurden anhand von Leserzuschriften die zwei beliebtesten Fernsehstars des Jahres ausgewählt. Die Erfindung der "Goldenen Kamera" war ein wichtiger Schritt, um einerseits die Verbundenheit des wichtigsten elektronischen Leitmediums mit der Zeitschrift zu demonstrieren und zum anderen den wachsenden Beliebtheitsgrad von TV- Showmastern, Schauspielern, Schlagersängern und Moderatoren zum eigenen Vorteil zu nutzen. Die Stars konnten wiederum durch die "HÖR ZU" ihren Marktwert deutlich erhöhen und ihre Sendungen optimaler platzieren.
    Entsprechend standen nun die meisten Beiträge der HÖR ZU in Bezug zu einer Fernsehsendung und präsentierten Schauspieler und selbst Fernsehansagerinnen in ihrem privaten Umfeld, z.B. nach der Geburt eines Kindes. Darüber hinaus luden die Redaktionsbüros der HÖR ZU in Stuttgart, München und Mainz jedes Jahr zur Prominentenparty ein, unterstützt durch entsprechende Berichte.
    Mitte 1974 wurde Hans Werner Bluhm von Peter Bachér abgelöst, dem vormaligen Chefredakteur von "Bild am Sonntag". Wohl ausschlaggebend dafür war der leichte Auflagenrückgang der HÖR ZU, bedingt durch die Ölkrise und die beginnende Wirtschaftsrezession ab Ende 1973. Auch soll es Konflikte zwischen Bluhm und seinem Verleger Springer gegeben haben, da Bluhm es mehrfach ablehnte, den von Springer favorisierten konservativen Journalisten Matthias Walden sowie Gerhard Löwenthal die "Goldene Kamera" zu verleihen. Peter Bachér galt in politischer Hinsicht als angepaßter an den damaligen Kurs des Springer- Konzerns und strukturierte die HÖR ZU in den Folgejahren wieder stärker in eine konventionelle TV- und Familienzeitschrift um.
    Hans Werner Bluhm war in den Jahren 1975 und 1976 noch Chefredakteur der "Welt am Sonntag". Er verstarb am 25.2.2009 in Hamburg.

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    Freitag, 23. April 2021, 11:48

    "Fragen Sie Frau Irene !" oder: das Frauenbild der HÖR ZU in den 60ern

    Wie bereits kurz angerissen, standen in der HÖR ZU nicht nur populäre Fernsehschauspieler wie Erik Ode oder Inge Meysel und Showmaster wie Peter Frankenfeld oder "Kuli" im Mittelpunkt des Interesses, sondern oft auch Fernsehansagerinnen oder Assistentinnen von Quizmastern. Dabei handelte es sich meist um jüngere, attraktive Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Da sie sich außerdem meist, wie damals noch üblich, in der Phase der Familiengründung befanden, waren sie für die Darstellung familienbezogener Leitbilder in einer Illustrierten besonders gut geeignet.
    "Sprung ins Eheglück. Kulis Assistentin, Uschi Siebert, wird im neuen Jahr Frau Rauch heißen". So lautete noch Anfang 1966 ein typischer HÖR ZU- Artikel über die Eheschließung einer durch "EWG" sehr bekannt gewordenen Fernsehmitarbeiterin. Großformatige Aufnahmen wurden durch kurze Begleittexte ergänzt, aus denen hervorging, daß Frau Siebert nur noch bis zu ihrer Heirat Kulis Assistentin sein würde. Der Artikel entsprach insofern noch dem traditionellen Frauenleitbild, das nach einer Eheschließung und darauffolgender Mutterschaft die vorläufige Aufgabe des Berufs und den Wechsel in die Position einer Ehefrau und Mutter vorsah.
    Daß dieses tradierte Frauenbild jedoch nicht mehr unhinterfragt blieb, machte bereits Ende 1966 ein Bericht über die Hamburger Fernsehansagerin Ann Ladiges deutlich. "Wirklich- ich kann nicht nur Mutter sein", rechtfertigte Frau Ladiges die Beibehaltung ihres Jobs als Fernsehansagerin.
    Zwei Jahre später änderte sich bereits die Tonlage zum Thema deutlicher. Im Jahre 1968 schilderte die Stuttgarter Fernsehansagerin Roswitha Roszak, daß sie nicht bereit sei, das Leben einer "isolierten" Hausfrau und Mutter zu führen, "das so vielen jungen Frauen die Ehe so bedrückend macht". Die dazugehörigen Aufnahmen zeigten Frau Roszak bei der Arbeit im Fernsehstudio und in der Küche bei der Zubereitung einer Mahlzeit. Der Artikel bestärkte das neue Frauenleitbild einer Doppelorientierung des Lebens nicht nur zur geistig- materiellen Sicherung der Familie, sondern auch im Sinne eines geistig- seelischen Wohlbefindens und der zunehmenden Selbstbestätigung im Beruf. Noch eindeutiger kam dies bei bekannten Schauspielerinnen dieser Jahre zum Ausdruck. So war bei Heidi Brühl´s zahlreichen Verpflichtungen "das Baby immer dabei".
    Eine deutliche Infragestellung tradierter Werte markierte ein Artikel über die populäre und bestaussehende Fernsehansagerin des Bayerischen Rundfunks, Petra Schürmann, die im Juli 1967 mit ihrer Tochter auf dem Titelcover der HÖR ZU präsentiert wurde. Während die Bildunterschrift "Mein Wunschkind Alexandra" noch auf die konventionelle Präsentation einer Prominenten nach der Geburt ihres Kindes verwies, zeigte erst der eigentliche Bericht, daß es sich bei dem kleinen Mädchen um ein uneheliches Kind handelte. "Jede Frau, auch wenn sie keinen Ehering trägt, hat das Recht auf ein Kind", ließ Frau Schürmann die Leser der HÖR ZU wissen und deutete damit einen bereits bestehenden gesellschaftlichen Wertewandel an, durch den auch nichteheliche Lebensverhältnisse zunehmend akzeptiert wurden. Petra Schürmann ging sogar noch einen Schritt weiter, indem sie Frauen zu einer Lebensführung aufrief, die sich in erster Linie an der individuellen Selbstverwirklichung orientieren sollte: "Jede(r) sollte aus seinem Leben machen, was sie/er für richtig hält. Denn was bedeutet Leben, wenn man nicht versucht, das zu erreichen, was man sich am meisten wünscht ? Wenn man sich laufend Dingen beugt, die man selbst ablehnt. Das muß schließlich zur Katastrophe führen".
    Redakteurin Marlen Sinjen unterstützte die Aussagen Petra Schürmanns mit ihrem Bericht. Die Fernsehansagerin wurde als attraktive, erfolgreiche und selbständige Frau dargestellt, die ihr Kind bürgerlich- behütet im eigenen Bungalow aufzog.
    Der für die damalige Zeit recht provokante Artikel fand eine sehr gespaltene öffentliche Resonanz. Während die "Münchener Abendzeitung" die Ausführungen Petra Schürmanns lobte, hielt die "Neue Bildpost" dagegen, daß es das Bestreben der HÖR ZU sei, "die Einrichtung von Ehe und Familie für die Zukunft als überflüssig zu propagieren". Auch die eingehenden Leserbriefe waren äußerst kontrovers. Während einige ihre Achtung vor Petra Schürmanns Entscheidung bekundeten, befürchteten viele andere den Verlust tradierter Moralvorstellungen oder (nicht ganz zu Unrecht) zumindest Nachteile für das uneheliche Kind. So schrieb Vera S. aus Göttingen: "Petra Schürmann kann unsere Gesellschaftsform nicht ummodeln, und wenn ihr Kind erst einmal in die Schule gehen wird, dann kommen die Probleme. Kann eine Mutter den schweren Lebensweg, den ein uneheliches Kind gehen wird, verantworten ? Ich meine: eindeutig Nein !"
    In der HÖR ZU hatte es bereits 1966 in der äußerst beliebten Ratgeberrubrik "Fragen Sie Frau Irene" erstmals Debatten unter der Überschrift "Sollen die unehelichen Kinder die Rechte der ehelichen erhalten ?" gegeben. Während einige Leserbriefschreiber den Bestand von Ehe und Familie gefährdet sahen, berichteten alleinerziehende Mütter von Diskriminierungen im gesellschaftlichen Alltag und Bevormundungen durch die Jugendämter. Walther von Hollander, der in Wirklichkeit hinter "Frau Irene" stand, sprach sich eindeutig dafür aus, die Forderung des GG nach rechtlicher Gleichstellung ehelicher und unehelicher Kinder möglichst zügig umzusetzen.
    1968 präsentierte Hollander alias "Frau Irene" unter der Überschrift "Uneheliche Geburt- ein Makel ! Wie lange noch ?" weitere Leserzuschriften, die aufzeigten, daß sich das Meinungsklima inzwischen in die Richtung von größeren Handlungsoptionen für Frauen verschoben hatte. Die Beiträge in der HÖR ZU kritisierten nun zunehmend die bürokratische Bevormundungspaxis der Jugendämter und sprachen sich dafür aus, den Müttern mehr Rechte einzuräumen. Frauen wurden nun nicht mehr als "leichtfertige Sünderinnen", sondern zunehmend als Opfer einer von veralteten Vorstellungen geprägten Gesetzgebung gesehen. Zunehmend offener wurde nun die "Institution Ehe" kritisiert. Hollanders/ Frau Irenes Haltung dazu war eindeutig: "Wie lange soll es noch dauern, bis die Frau als ein selbständiges Wesen angesehen wird, bis man ihr das uneingeschränkte Recht einräumen wird, Kinder zu haben oder nicht zu haben, zu heiraten oder nicht zu heiraten ? Niemand... darf noch das Recht haben, sich in die Angelegenheiten dieser Mütter und ihrer Kinder einzumischen, solange sie ihren Pflichten nachkommen".
    Nicht nur beim Thema "ledige Mütter", sondern auch bei der Propagierung neuer Lebens- und Familienformen korrespondierten Berichte über Prominente, die durchaus gesellschaftliche Leitbildfunktionen innehatten, mit zeitgleichen Diskussionen in der HÖR ZU- Rubrik "Fragen Sie Frau Irene". Auch Fragen zur "sexuellen Revolution" wurden thematisiert und zeigten auf, daß sich die Ansichten vieler HÖR ZU- Leser hierzu allmählich änderten. So wurde es ab Ende 1967 befürwortet, wenn junge Frauen bereits vor der Ehe sexuelle Erfahrungen sammelten, da sie dann den "richtigen Partner fürs Leben" aussuchen und unglückliche Frühehen verhindern könnten. Mehrmals betonte Hollander alias "Frau Irene", daß es keine allgemein verpflichtende Sexualmoral mehr gebe (!), sondern jeder Mensch nach bestem Wissen und Gewissen abzuwägen habe, welche Erfahrungen er oder sie zu sammeln wünsche.
    Deutliche Abgrenzungen gab es seitens der Leserschaft allerdings zu Praktiken wie "Gruppensex", die in der HÖR ZU ab 1969/70 diskutiert wurden. Anfragen zu diesem Thema trugen bereits Einflüsse der 68er- Studentenbewegung in sich , waren es doch oft Soziologiestudenten, die ihre meist überforderten Freundinnen dazu überreden wollten. Dementsprechend ablehnende Leserzuschriften gab es dazu in der HÖR ZU dieser Zeit. "Frau Irene" äußerte sich dazu wissenschaftlich nüchtern: "Immer wieder hat es wechselvolle Sex- Zirkel gegeben, die nach neuen Beziehungen und Gefühlsformen Ausschau halten und sie auch praktizieren. In ihrer Wunschwelt sind viele junge Menschen polygam. Aber die allermeisten sind den Gefahren der Polygamie gar nicht gewachsen und kehren sehr bald in die Bezirke der sexuellen Treue zurück."

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    Freitag, 23. April 2021, 14:12

    RE: "Fragen Sie Frau Irene !" oder: das Frauenbild der HÖR ZU in den 60ern

    Das wusste ich noch nicht, dass Walther von Hollander hinter dem Pseudonym "Frau Irene" stand.
    Ich meine mich zu erinnern, dass der Vater von Petra Schuermann's Tochter sich spaeter als der Ehemann von Marianna Koch herausstellte.
    Eine deutliche Infragestellung tradierter Werte markierte ein Artikel über die populäre und bestaussehende Fernsehansagerin des Bayerischen Rundfunks, Petra Schürmann, die im Juli 1967 mit ihrer Tochter auf dem Titelcover der HÖR ZU präsentiert wurde. Während die Bildunterschrift "Mein Wunschkind Alexandra" noch auf die konventionelle Präsentation einer Prominenten nach der Geburt ihres Kindes verwies, zeigte erst der eigentliche Bericht, daß es sich bei dem kleinen Mädchen um ein uneheliches Kind handelte. "Jede Frau, auch wenn sie keinen Ehering trägt, hat das Recht auf ein Kind", ließ Frau Schürmann die Leser der HÖR ZU wissen und deutete damit einen bereits bestehenden gesellschaftlichen Wertewandel an, durch den auch nichteheliche Lebensverhältnisse zunehmend akzeptiert wurden. Petra Schürmann ging sogar noch einen Schritt weiter, indem sie Frauen zu einer Lebensführung aufrief, die sich in erster Linie an der individuellen Selbstverwirklichung orientieren sollte: "Jede(r) sollte aus seinem Leben machen, was sie/er für richtig hält. Denn was bedeutet Leben, wenn man nicht versucht, das zu erreichen, was man sich am meisten wünscht ? Wenn man sich laufend Dingen beugt, die man selbst ablehnt. Das muß schließlich zur Katastrophe führen".
    Redakteurin Marlen Sinjen unterstützte die Aussagen Petra Schürmanns mit ihrem Bericht. Die Fernsehansagerin wurde als attraktive, erfolgreiche und selbständige Frau dargestellt, die ihr Kind bürgerlich- behütet im eigenen Bungalow aufzog.
    Der für die damalige Zeit recht provokante Artikel fand eine sehr gespaltene öffentliche Resonanz. Während die "Münchener Abendzeitung" die Ausführungen Petra Schürmanns lobte, hielt die "Neue Bildpost" dagegen, daß es das Bestreben der HÖR ZU sei, "die Einrichtung von Ehe und Familie für die Zukunft als überflüssig zu propagieren". Auch die eingehenden Leserbriefe waren äußerst kontrovers. Während einige ihre Achtung vor Petra Schürmanns Entscheidung bekundeten, befürchteten viele andere den Verlust tradierter Moralvorstellungen oder (nicht ganz zu Unrecht) zumindest Nachteile für das uneheliche Kind. So schrieb Vera S. aus Göttingen: "Petra Schürmann kann unsere Gesellschaftsform nicht ummodeln, und wenn ihr Kind erst einmal in die Schule gehen wird, dann kommen die Probleme. Kann eine Mutter den schweren Lebensweg, den ein uneheliches Kind gehen wird, verantworten ? Ich meine: eindeutig Nein !"
    In der HÖR ZU hatte es bereits 1966 in der äußerst beliebten Ratgeberrubrik "Fragen Sie Frau Irene" erstmals Debatten unter der Überschrift "Sollen die unehelichen Kinder die Rechte der ehelichen erhalten ?" gegeben. Während einige Leserbriefschreiber den Bestand von Ehe und Familie gefährdet sahen, berichteten alleinerziehende Mütter von Diskriminierungen im gesellschaftlichen Alltag und Bevormundungen durch die Jugendämter. Walther von Hollander, der in Wirklichkeit hinter "Frau Irene" stand, sprach sich eindeutig dafür aus, die Forderung des GG nach rechtlicher Gleichstellung ehelicher und unehelicher Kinder möglichst zügig umzusetzen.
    1968 präsentierte Hollander alias "Frau Irene" uner der Überschrift "Uneheliche Geburt- ein Makel ! Wie lange noch ?" weitere Leserzuschriften, die aufzeigten, daß sich das Meinungsklima inzwischen in die Richtung von größeren Handlungsoptionen für Frauen verschoben hatte. Die Beiträge in der HÖR ZU kritisierten nun zunehmend die bürokratische Bevormundungspaxis der Jugendämter und sprachen sich dafür aus, den Müttern mehr Rechte einzuräumen. Frauen wurden nun nicht mehr als "leichtfertige Sünderinnen", sondern zunehmend als Opfer einer von veralteten Vorstellungen geprägten Gesetzgebung gesehen. Zunehmend offener wurde nun die "Institution Ehe" kritisiert. Hollanders/ Frau Irenes Haltung dazu war eindeutig: "Wie lange soll es noch dauern, bis die Frau als ein selbständiges Wesen angesehen wird, bis man ihr das uneingeschränkte Recht einräumen wird, Kinder zu haben oder nicht zu haben, zu heiraten oder nicht zu heiraten ? Niemand... darf noch das Recht haben, sich in die Angelegenheiten dieser Mütter und ihrer Kinder einzumischen, solange sie ihren Pflichten nachkommen".
    Nicht nur beim Thema "ledige Mütter", sondern auch bei der Propagierung neuer Lebens- und Familienformen korrespondierten Berichte über Prominente, die durchaus gesellschaftliche Leitbildfunktionen innehatten, mit zeitgleichen Diskussionen in der HÖR ZU- Rubrik "Fragen Sie Frau Irene". Auch Fragen zur "sexuellen Revolution" wurden thematisiert und zeigten auf, daß sich die Ansichten vieler HÖR ZU- Leser hierzu allmählich änderten. So wurde es ab Ende 1967 befürwortet, wenn junge Frauen bereits vor der Ehe sexuelle Erfahrungen sammelten, da sie dann den "richtigen Partner fürs Leben" aussuchen und unglückliche Frühehen verhindern könnten. Mehrmals betonte Hollander alias "Frau Irene", daß es keine allgemein verpflichtende Sexualmoral mehr gebe (!), sondern jeder Mensch nach bestem Wissen und Gewissen abzuwägen habe, welche Erfahrungen er oder sie zu sammeln wünsche.
    Deutliche Abgrenzungen gab es seitens der Leserschaft allerdings zu Praktiken wie "Gruppensex", die in der HÖR ZU ab 1969/70 diskutiert wurden. Anfragen zu diesem Thema trugen bereits Einflüsse der 68er- Studentenbewegung in sich , waren es doch oft Soziologiestudenten, die ihre meist überforderten Freundinnen dazu überreden wollten. Dementsprechend ablehnende Leserzuschriften gab es dazu in der HÖR ZU dieser Zeit. "Frau Irene" äußerte sich dazu wissenschaftlich nüchtern: "Immer wieder hat es wechselvolle Sex- Zirkel gegeben, die nach neuen Beziehungen und Gefühlsformen Ausschau halten und sie auch praktizieren. In ihrer Wunschwelt sind viele junge Menschen polygam. Aber die allermeisten sind den Gefahren der Polygamie gar nicht gewachsen und kehren sehr bald in die Bezirke der sexuellen Treue zurück."

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    Freitag, 23. April 2021, 14:26

    RE: "Fragen Sie Frau Irene !" oder: das Frauenbild der HÖR ZU in den 60ern

    Also ich kam mir nie isoliert vor, wenn ich durch Umzug oder erneute Ehe mal fuer ein paar Monate oder hin und wieder ein bis zwei Jahre nicht berufstaetig war. Im Gegenteil, das waren die einzigen Zeiten in meinem Leben, wo ich mal genug Freizeit fuer meine Hobbies hatte.
    Isoliert kam ich mir hingegen oft in ungeliebten Jobs vor (wie im Call Center oder als Kassiererin im Supermarkt ).
    Nicht fuer jede Frau bietet der Beruf die Erfuellung ihrer Wuensche. Viele arbeiten nur wegen des Einkommens, nicht wegen der Selbstverwirklichung (ich unterhielt mich mit etlichen Arbeitskolleginnen zwischen 1974 und 2008, die ganz ehrlich zugaben, dass sie sofort aufhoeren wuerden, wenn sie nicht mehr laenger arbeiten muessten...eine Kollegin bekam ihr Baby nur deshalb, weil sie keine Lust mehr dazu hatte, weiterhin berufstaetig zu sein).

    Als Bueroangestellte, Bandarbeiterin, Arzthelferin oder Kassiererin im Supermarkt oder in einer Bank sehnt man oft genug den Feierabend herbei, nur um dann zu Hause noch mehr Arbeit vorzufinden.

    Mit langen Anfahrtszeiten zum Arbeitsplatz bleibt am Ende kaum noch Freizeit uebrig zur Selbstverwirklichung (fuer die Frauen, die diese Selbstverwirklichung im Beruf nicht finden).
    Just my 2 cents.

    Der Artikel entsprach insofern noch dem traditionellen Frauenleitbild, der nach einer Eheschließung und darauffolgender Mutterschaft die vorläufige Aufgabe des Berufs und den Wechsel in die Position einer Ehefrau und Mutter vorsah.
    Daß dieses tradierte Frauenbild jedoch nicht mehr unhinterfragt blieb, machte bereits Ende 1966 ein Bericht über die Hamburger Fernsehansagerin Ann Ladiges deutlich. "Wirklich- ich kann nicht nur Mutter sein", rechtfertigte Frau Ladiges die Beibehaltung ihres Jobs als Fernsehansagerin.
    Zwei Jahre später änderte sich bereits die Tonlage zum Thema deutlicher. Im Jahre 1968 schilderte die Stuttgarter Fernsehansagerin Roswitha Roszak, daß sie nicht bereit sei, das Leben einer "isolierten" Hausfrau und Mutter zu führen, "das so vielen jungen Frauen die Ehe so bedrückend macht". Die dazugehörigen Aufnahmen zeigten Frau Roszak bei der Arbeit im Fernsehstudio und in der Küche bei der Zubereitung einer Mahlzeit. Der Artikel bestärkte das neue Frauenleitbild einer Doppelorientierung des Lebens nicht nur zur geistig- materiellen Sicherung der Familie, sondern auch im Sinne eines geistig- seelischen Wohlbefindens und der zunehmenden Selbstbestätigung im Beruf. Noch eindeutiger kam dies bei bekannten Schauspielerinnen dieser Jahre zum Ausdruck. So war bei Heidi Brühl´s zahlreichen Verpflichtungen "das Baby immer dabei".

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    Donnerstag, 29. April 2021, 14:51

    Wer war Walther von Hollander ?

    Auch mir war bis vor kurzem völlig unbekannt, daß der langjährige Autor der äußerst beliebten HörZu- Ratgeberrubrik "Fragen Sie Frau Irene" in Wirklichkeit ein älterer Herr war, der einen Großteil seiner Sozialisation noch in den späten Jahren des dritten deutschen Kaiserreichs erlebt hatte. Nur war diese durchaus interessante Persönlichkeit nicht irgendwer.
    Wer war nun Walther von Hollander wirklich ? Geboren wurde er als Sohn eines Pfarrers am 29.1.1892 in Blankenburg (Harz). Er stammte aus einer alten deutschbaltischen Familie, die in Riga ansässig war. Hollander besuchte das humanistische Gymnasium und studierte anschließend Philosophie, Literaturgeschichte und Nationalökonomie an den Universitäten Heidelberg, Jena und München und promovierte zum Dr. phil.
    Neben seinem Studium betätigte er sich als Schauspieler und Journalist. Den Ersten Weltkrieg machte er, wie in seiner Generation nicht unüblich, zunächst als Kriegsfreiwilliger und später als Offizier und Kriegsberichterstatter mit.
    Nach Kriegsende war er in München Schauspieler, Verlagslektor und Theaterkritiker. Ab 1921 nahm er als Handpresse- Drucker an der Arbeitsgemeinschaft des Malers Heinrich Vogler in Worpswede teil.
    1922 siedelte er als freier Schriftsteller nach Berlin über, wo er außerdem für ein Antiquariat, für den PEN- Club und danach u.a. als Drehbuchautor für Film und Rundfunk tätig war.
    Seit 1939 lebte von Hollander in Niendorf (Schleswig Holstein) als Gutsbesitzer und freier Schriftsteller. Dort trafen sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs einflußreiche Medienpersönlichkeiten wie Peter von Zahn, Axel Eggebrecht, Ray Heycock und Hugh Carlton Green, um über den Neuaufbau des Medienwesens in der späteren Bundesrepublik zu beraten. Auch ein Axel Springer faßte hier den Entschluß zu seiner letztendlich sehr erfolgreichen Verlagsgründung.
    Seit 1952 strahlte das zweite Programm des Norddeutschen Rundfunks jeweils zur Top- Sendezeit an Freitagabenden Hollander´s überaus populäre Ratgebersendung "Was wollen Sie wissen ?" aus, durch die der Schriftsteller sich allmählich einen Ruf als "Eheberater der Nation" erwarb. Dazu gehörte auch sein ergänzendes Sachbuch "Psychologie der Ehefrau" von 1962. Hollander betreute "Was wollen Sie wissen ?" bis 1971 und wurde dann von dem auch mir noch bekannten Erwin Marcus abgelöst, der das Format bis zu seiner endgültigen Einstellung im Jahre 2000 erfolgreich weiterführte.
    Bereits seit 1949 (!) betreute von Hollander seine regelmäßige Ratgeberkolumne in der Rundfunk- und Fernsehzeitschrift "HÖR ZU" unter der Titelbezeichnung "Fragen Sie Frau Irene", die in nicht unerheblichem Umfang zum großen Erfolg des Magazins in den 50er und 60er Jahren beitrug.
    Gesundheitsbedingt nahm Hollander 1971 Abschied von seinen zahlreichen beruflichen Tätigkeiten. Er verstarb im Jahre 1973 an einem Herzinfarkt.

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    Samstag, 1. Mai 2021, 13:05

    Ehe ohne Trauschein, Kinderlosigkeit und Ehescheidung als Themen der HÖR ZU in den frühen 70ern

    "Heiraten- warum eigentlich noch ?" fragte Anfang 1970 die schwedische Schlagersängerin Bibi Johns in einer Ausgabe der HÖR ZU. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe hatte die damals 40- jährige Sängerin neues Glück in der Liebe und einen beruflichen Neuanfang als Musicalstar gefunden. Mit dem fünf Jahre jüngeren Peter Jacques lebte sie ohne Trauschein zusammmen. Der für das Jahr 1970 durchaus noch provokante Artikel markierte gleich in dreifacher Hinsicht einen Bruch mit den damaligen gesellschaftlichen Werten und Normen. Zunächst galt es in breiten Bevölkerungskreisen als rechtfertigungsbedürftig, wenn verwitwete oder geschiedene Frauen sich noch einmal banden. Darüber hinaus waren die sogenannten "wilden Ehen" damals noch weitgehend mit der Vorstellung von "asozialen Verhältnissen" verbunden. Zum zweiten lebte Bibi Johns mit einem jüngeren Partner zusammen, was der gängigen Norm widersprach, daß der Ehemann älter zu sein hatte als seine Partnerin. Drittens betonte sie in dem Artikel, daß sie mittlerweile froh sei, kein Kind bekommen zu haben.
    Nachdem die HÖR ZU im Verlauf des Jahres 1970 bereits mehrfach über Prominente berichtet hatte , die ohne Heiratsabsichten zusammenlebten, gab es Ende 1971 eine große Reportage mit dem Titel "Immer mehr Stars scheuen den Weg zum Standesamt", die die Gründe und Argumente gegen Ehe und Familie als konventionelle Lebensform zur ausdrücklichen Diskussion stellten: "Vor wenigen Jahren sprach man noch nicht darüber, man tuschelte allenfalls über wilde Ehen. Heute aber weiß es jeder. Immer mehr TV- und Schlagerstars führen eine Ehe ohne kirchlichen Segen, ohne Trauschein, ohne Ringe. Egal ob sie Katja Ebstein, Rudi Carrell, Bibi Johns, Karin Jacobsen oder Christine Wodetzky heißen, sie alle bekennen sich offen zu ihrem Verhältnis !"
    Während die konventionelle Ehe oft ein "leeres Nebeneinander- Leben" bedeute, stelle eine "freie Beziehung" eine echte Partnerschaft dar, weil man sich mehr umeinander bemühe, so die Schlagersängerin Su Kramer.
    Zwar solle man über eine gewisse "Reife und Toleranz" verfügen, wurde Bibi Johns zitiert, aber es sei grundsätzlich zu begrüßen, daß immer mehr junge Menschen ohne Trauschein zusammenlebten, weil vielen dadurch eine "unglückliche Ehe" erspart bleibe.
    Der Artikel zeigt, daß die genannten Prominenten als Trendsetter bei der Akzeptanz alternativer Formen des Zusammenlebens in Erscheinung traten, denn noch Mitte der 60er Jahre war es in der Praxis kaum möglich gewesen, als unverheiratetes Paar zusammen zu wohnen. Materiell abgesichert und beruflich unabhängig, konnten sich insbesondere weibliche Prominente für Lebensgemeinschaften aussprechen, die in erster Linie die Erfahrung persönlichen Glücks und nicht mehr dem Bild der traditionellen Versorgungsehe entsprachen.

    Artikel dieser Art ergänzten sich mit Berichten in der HÖR ZU über prominente Paare, die sich scheiden lassen wollten oder dies schon getan hatten. Nachdem die Zeitschrift im Jahre 1966 lediglich einmal (!) von einem solchen Fall berichtet hatte, war das Thema Scheidung und Trennung ab Herbst 1969 regelmäßig im Blatt zu finden. Es war Teil der damaligen breiten Debatte um die Reform des Eherechts, die sich nicht zuletzt aus der Verdoppelung der Scheidungszahlen seit 1961 ergeben hatte. Auch die HÖR ZU begrüßte ausdrücklich Überlegungen zum neuen Scheidungsrecht, die im wesentlichen darin bestanden, durch die Streichung des Verschuldungsparagraphen die Aufhebung der ehelichen Verbindung zu vereinfachen, und fragte in diesem Kontext wiederum ausgewählte Prominente, was sie von den Neuerungen des Gesetzes hielten. Fast alle befürworteten das neue Scheidungsrecht, weil es Eheleuten ermögliche, "ohne Probleme" auseinanderzugehen, wenn sie sich nicht mehr verstünden.
    Besonders eindeutig äußerte sich die Schauspielerin Inge Meysel 1972 zu der Thematik. In den 60er und frühen 70er Jahren war sie die wohl populärste Darstellerin in der Bundesrepublik, galt nicht zuletzt durch ihre Rolle als Käthe Scholz in der Serie "Die Unverbesserlichen" als "Mutter der Nation" und hatte 1965 die Goldene Kamera sowie zahlreiche andere Fernsehpreise erhalten. Somit galt sie zunächst vielen als moralische Instanz, die die Beibehaltung traditioneller Werte zu verkörpern schien. 1969 hatte sie im Bundestagswahlkampf für den SPD- Kanzlerkandidaten Willy Brandt geworben. Bereits 1972 drehte Inge Meysel für das ZDF eine Fernsehserie, in deren Mittelpunkt eine geschiedene Frau stand ("Eine geschiedene Frau". EA Januar 1974 im ZDF). HÖR ZU meinte dazu: "Sie weiß sehr gut, daß hundert kluge Reden nicht annähernd so viel erreichen wie eine in Unterhaltung verpackte Meysel- Botschaft via Bildröhre". Im gleichen Artikel schilderte die Schauspielerin, daß sie selbst geschieden sei und sprach sich ausdrücklich für eine deutliche Reform des deutschen Scheidungsrechts aus. Allen Heiratswilligen schlug sie dagegen vor, "erst einmal drei, vier Jahre ohne Stempel vom Standesamt zusammenzuleben".
    Auch wenn Prominente in der breiten Gesellschaft eher als "Exoten" galten und neuartige Lebensformen bei ihnen leichter vom "Mainstream" akzeptiert wurden, so nahmen sie doch eine wichtige Vorreiterrolle in der Öffentlichkeit ein. Die Kritik an der bürgerlichen Ehe wurde u.a. durch die HÖR ZU von beliebten Stars aus der Mitte der Gesellschaft vorgetragen und als "individueller Glücksanspruch" begründet. Zur Abmilderung der Kernaussagen wurden Berichte über "wilde Ehen" und Scheidungen von der HÖR ZU immer wieder mit Beschreibungen glücklicher konventioneller Ehebeziehungen durchmischt. Auffallend war bereits in diesem Zeitraum, daß es sich bei den nicht verheirateten Prominenten ausschließlich um kinderlose Paare handelte, die auch in dieser Hinsicht allmählich eine gesellschaftliche Vorreiterrolle einnahmen.
    Gesellschaftliche Benachteiligungen geschiedener Frauen, die es in den 70er Jahren zweifelsohne noch gab, und ihre Schwierigkeiten, beruflich wieder Fuß zu fassen, wurden vornehmlich in der Ratgeberrubrik "Fragen Sie Frau Irene" thematisiert.

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    Samstag, 1. Mai 2021, 14:45

    RE: Ehe ohne Trauschein, Kinderlosigkeit und Ehescheidung als Themen der HÖR ZU in den frühen 70ern

    Es wundert mich, dass dieses Thema erst 1970 aufkam.
    Ich zog 1974 zu meinem Freund.
    Mein Onkel und meine Tante zogen bereits Jahre vor ihrer Eheschliessung (am Tag der Mondlandung im Juli 1969) zusammen. Und das in der Ex-DDR, aber vielleicht sah man das dort lockerer?
    Wilde Ehe fuer befristete Zeit halte ich fuer sehr sinnvoll, denn wie soll man sonst seinen zukuenftigen Partner/Partnerin wirklich durch und durch kennenlernen? Bestenfalls im Urlaub, wenn man mal 3 oder 4 Wochen lang Tag und Nacht miteinander verbringt.

    Hier in den USA geht es eher puritanisch zu, da zieht kaum ein Paar vor der Ehe zusammen, dafuer wird monatelang gedated und dann viel zu schnell (oft schon nach einem Jahr oder noch eher) geheiratet mit dem frustrierenden Ergebnis, dass jede zweite Ehe wieder geschieden wird.
    "Heiraten- warum eigentlich noch ?" fragte Anfang 1970 die schwedische Schlagersängerin Bibi Johns in einer Ausgabe der HÖR ZU. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe hatte die damals 40- jährige Sängerin neues Glück in der Liebe und einen beruflichen Neuanfang als Musicalstar gefunden. Mit dem fünf Jahre jüngeren Peter Jacques lebte sie ohne Trauschein zusammmen. Der für das Jahr 1970 durchaus noch provokante Artikel markierte gleich in dreifacher Hinsicht einen Bruch mit den damaligen gesellschaftlichen Werten und Normen. Zunächst galt es in breiten Bevölkerungskreisen als rechtfertigungsbedürftig, wenn verwitwete oder geschiedene Frauen sich noch einmal banden. Darüber hinaus waren die sogenannten "wilden Ehen" damals noch weitgehend mit der Vorstellung von "asozialen Verhältnissen" verbunden. Zum Zweiten lebte Bibi Johns mit einem jüngeren Partner zusammen, was der gängigen Norm widersprach, daß der Ehemann älter zu sein hatte als seine Partnerin. Drittens betonte sie in dem Artikel, daß sie mittlerweile froh sei, kein Kind bekommen zu haben.

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    Samstag, 1. Mai 2021, 14:51

    RE: Ehe ohne Trauschein, Kinderlosigkeit und Ehescheidung als Themen der HÖR ZU in den frühen 70ern

    In ihrer Autobiographie "Dicke Lilli - gutes Kind" riet Lilli Palmer winter him, summer him and winter him again. Das habe ich mir ein Leben lang gemerkt, und muss Frau Palmer, die ich bei der Signierung ihres Buches "Der rote Rabe" in Braunschweig in den 70er Jahren einmal traf, von Herzen recht geben.

    Ehe ich im Oktober 1974 zu meinem Freund und dessen Familie zog, drohte mein Vater noch der Mutter meines Freundes mit dem Kuppelei-Paragraphen, der offenbar bald darauf abgeschafft worden sein muss.
    Besonders eindeutig äußerte sich die Schauspielerin Inge Meysel 1972 zu der Thematik. In den 60er und frühen 70er Jahren war sie die wohl populärste Darstellerin in der Bundesrepublik, galt nicht zuletzt durch ihre Rolle als Käthe Scholz in der Serie "Die Unverbesserlichen" als "Mutter der Nation" und hatte 1965 die Goldene Kamera sowie zahlreiche andere Fernsehpreise erhalten. Somit galt sie zunächst vielen als moralische Instanz, die die Beibehaltung traditioneller Werte zu verkörpern schien. 1969 hatte sie im Bundestagswahlkampf für den SPD- Kanzlerkandidaten Willy Brandt geworben. Bereits 1972 drehte Inge Meysel für das ZDF eine Fernsehserie, in deren Mittelpunkt eine geschiedene Frau stand. HÖR ZU meinte dazu: "Sie weiß sehr gut, daß hundert kluge Reden nicht annähernd so viel erreichen wie eine in Unterhaltung verpackte Meysel- Botschaft via Bildröhre". Im gleichen Artikel schilderte die Schauspielerin, daß sie selbst geschieden sei und sprach sich ausdrücklich für eine deutliche Reform des deutschen Scheidungsrechts aus. Allen Heiratswilligen schlug sie dagegen vor, "erst einmal drei, vier Jahre ohne Stempel vom Standesamt zusammenzuleben".
    Auch wenn Prominente in der breiten Gesellschaft eher als "Exoten" galten und neuartige Lebensformen bei ihnen leichter vom "Mainstream" akzeptiert wurden, so nahmen sie doch eine wichtige Vorreiterrolle in der Öffentlichkeit ein. Die Kritik an der bürgerlichen Ehe wurde u.a. durch die HÖR ZU von beliebten Stars aus der Mitte der Gesellschaft vorgetragen und als "individueller Glücksanspruch" begründet. Zur Abmilderung der Kernaussagen wurden Berichte über "wilde Ehen" und Scheidungen von der HÖR ZU immer wieder mit Beschreibungen glücklicher konventioneller Ehebeziehungen durchmischt. Auffallend war bereits in diesem Zeitraum, daß es sich bei den nicht verheirateten Prominenten ausschließlich um kinderlose Paare handelte, die auch in dieser Hinsicht allmählich eine gesellschaftliche Vorreiterrolle einnahmen.
    Gesellschaftliche Benachteiligungen geschiedener Frauen, die es in den 70er Jahren zweifelsohne noch gab, und ihre Schwierigkeiten, beruflich wieder Fuß zu fassen, wurden vornehmlich in der Ratgeberrubrik "Fragen Sie Frau Irene" thematisiert.

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    Sonntag, 2. Mai 2021, 22:08

    Eine geschiedene Frau mit Inge Meysel (1973)

    Passend zum Thema kurz noch der Link zu Folge 3 dieser Miniserie von 1972/73. Alle weiteren fünf Episoden sind derzeit ebenfalls auf youtube abrufbar.
    Meines Erachtens nicht unbedingt eine der stärksten Fernsehserien mit Inge Meysel in der Hauptrolle, aber durchaus passend zum oben angerissenen Themenkomplex. Dabei viele nostalgische Einblicke in die bürgerliche Lebenswelt der frühen 70er Jahre: Wohnungseinrichtung, Kleidung, das Telefon noch mit Wählscheibe, die damaligen Fahrzeugtypen im Straßenverkehr u.v.m. Auch geraucht wurde damals weitgehend noch in der Wohnung ;) . Bei Interesse: viel Spaß beim Anschauen !

    www.youtube.com/watch?v=bxmWusJ5m24

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    Montag, 3. Mai 2021, 14:21

    Die Frauenemanzipation der frühen 70er Jahre als Thema der HÖR ZU

    Die im Verlauf der 68er- Kulturrevolution entstandene neue Frauenbewegung wurde u.a. mit ihrer Kampagne gegen den Paragraphen § 218 zu einem der Motoren eines sich beschleunigenden gesellschaftlichen Wandels in den frühen 70er Jahren. Wohngemeinschaften ("WG´s") setzten sich in dieser Zeit als Lebensform vornehmlich von Studenten immer mehr durch, auch drangen Formen einer freieren Kindererziehung bis hin zu einer strikt "antiautoritären Erziehung" zunehmend in die Elternhäuser ein.
    Diese gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen wurden in der HÖR ZU, der damals mit Abstand größten deutschen Programm- und Familienzeitschrift, im Verbund mit entsprechenden Fernsehsendungen durchweg positiv aufgenommen. Das Magazin inszenierte sich unter ihrem damaligen Chefredakteuer Bluhm sogar selbst als Förderer eines kritisch- aufgeschlossenen Bewußtseins , das sie von den übrigen Springer- Publikationen deutlich abhebe: "Wir halten nichts von einem Blatt, in dem der Leser nur sich selbst bestätigt findet. Unser Ehrgeiz richtet sich nicht auf den selbstzufriedenen, sondern auf den kritischen Leser. Es liegt auf der gleichen Linie, wenn wir uns gezielt für solche Fernsehdarbietungen einsetzen, die Denkanstöße bieten, die eiserne Vorurteile zum Schmelzen bringen, selbst wenn sie bei manchem Zuschauer vorher Weißglut erzeugen" (1971).
    Doch bereits zwei Jahre später setzte in der HÖR ZU bereits wieder eine eher zurückhaltende Linie ein, was die tatsächliche Umsetzung von Forderungen wie der Gleichberechtigung der Frau betraf. Zwar würden sich immer mehr Fernsehautoren mit dem Thema Frauenemanzipation beschäftigen, war 1973 zu lesen, doch beurteilten diese die Chancen zu ihrer Verwirklichung eher negativ. Am Ende zahlreicher individueller Emanzipationsversuche stünden oft die "Flucht in die Ehe", die berufliche Stagnation oder das völlige Alleinsein. Eine Entwicklung, die insbesondere auch in den Funkhäusern als "Hort fortschrittlicher Denkungsart" häufig zu beobachten sei. Die HÖR ZU befragte dazu drei bekannte Mitarbeiterinnen des Hessischen Rundfunks, die geschieden oder getrennt lebten. Diese bemängelten, daß eine Karriere für Frauen eigentlich nur "im Zölibat" möglich sei, weil sie von Männern sonst blockiert werde. Einige Ausgaben später mußte HÖR ZU- Redakteur Karl- Heinz Huber anläßlich eines Fernsehfilms zum Thema Scheidung zugeben, daß bei geschiedenen Frauen "von Toleranz und Liberalität in den meisten Unternehmen keine Rede sein könne".
    Bereits ein Jahr zuvor war man in der Ratgeberrubrik "Fragen Sie Frau Irene" zu dem Schluß gekommen, daß ledige Mütter trotz des neuen Eherechts immer noch mit einem gesellschaftlichen Makel behaftet seien und selbst "die schwierigste Ehe immer noch der beste Aufbewahrungsort für das heranwachsende Kind" bleibe.
    Auch äußerten sich Prominente wie Hildegard Knef nunmehr zunehmend kritisch, was die tatsächlich erreichte Emanzipation anging: "Ein Mann hat eine Meinung, eine Frau dagegen meckert. Ein Mann ist dynamisch, eine Frau dagegen ist hysterisch". So lautete der Kommentar der bekannten Schauspielerin und Autorin, deren Buch "Der geschenkte Gaul" just in diesem Zeitrahmen erschien und zum Bestseller wurde.
    Kennzeichnend für eine allmähliche Trendwende in der HÖR ZU- Berichterstattung war auch das Beispiel der Schauspieler Horst Janson und Monika Lundi, die nach jahrelangem Zusammenleben ohne Trauschein "Hals über Kopf" in Dänemark heirateten. Das Magazin brachte einen großen Bildbericht von der Hochzeit und ließ das frischgebackene Ehepaar ein Heft darauf sogar Hochzeitsmode vorführen.
    Überhaupt konstatierte die HÖR ZU 1973 ein "zunehmendes Heimweh nach der guten alten Zeit". Damit wurde ein Innehalten in dem Prozeß der großen gesellschaftlichen Veränderungen angedeutet. Das Magazin berichtete zwar weiterhin über das Leben von Prominenten, auch wurden neue gesellschaftliche Themen wie das zunehmende Umweltbewußtsein oder die Problematik von Tierversuchen angerissen. Zu der großen Aufbruchsstimmung, wie sie sich in der HÖR ZU der Jahre 1969/ 70 angedeutet hatte, kam es vorerst aber nicht mehr. Viele Ansätze hatten sich als Illusionen erwiesen, auch sorgten das Scheitern der 68er Studentenrevolte, die 1973er Ölkrise und das Ende der langen Phase der wirtschaftlichen Hochkonjunktur zunehmend für gesamtgesellschaftliche Ernüchterung.
    Zusammengefaßt kann festgestellt werden, daß in den späten 60er und frühen 70er Jahren die Programmzeitschrift HÖR ZU ein Forum für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse bildete, in deren Verlauf überkommende Leitbilder nachhaltig auf den Prüfstand gestellt wurden. Neben der Ratgeberrubrik "Fragen Sie Frau Irene" nahm die Berichterstattung über Prominente dabei eine wichtige Funktion ein. Es waren vor allem Fernsehansagerinnen, Schlagerstars sowie Film- und Fernsehschauspieler, die als gesellschaftliche Vorreiter der Akzeptanz neuer Ehe- und Familienformen sowie individueller Lebensentwürfe präsentiert wurden.
    So förderte auch die HÖR ZU den allmählichen Wertewandel der deutschen Gesellschaft vom Konformismus hin zum Nonkonformismus, vom "Pflichtmenschen" zu sich zunehmend selbstverwirklichenden Individuen. Inwieweit dieser Prozeß in den Folgejahrzehnten zu deutlichen gesellschaftlichen Verfallserscheinungen geführt hat, muß jeder Leser dieses Blogs letztendlich für sich selbst entscheiden.

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    Freitag, 9. Juli 2021, 13:21

    Gefunden in der HÖR ZU - Niemand versteht unsere Not... (aus: Fragen Sie Frau Irene, Heft 21/1954, Seite 16))

    Gekennzeichnet (232/1), Originaltext.
    "Niemand versteht unsere Not... Sie haben schon manche schwierige Lebensfrage angepackt. Aber um eine schleichen Sie immer herum wie die Katze um den heißen Brei: Das ist der Frauenüberschuß oder der Mangel an Männern für bestimmte Jahrgänge, für uns, die Dreißig- bis Vierzigjährigen. Dabei muß das jedem aufmerksamen Beobachter auffallen. Gehen Sie auf eine Gesellschaft: zwei unverheiratete Männer, zehn Mädchen. Sehen Sie sich auch im Sommer in den Urlaubsorten um: Heerscharen von Mädchen dieser Jahrgänge, die hoffen und hoffen. Wenigstens sollten Sie einmal das Problem in seiner ganzen Schmerzlichkeit zeigen. Wie, meinen Sie, ist uns zumute, wenn wir in junge Familien eingeladen werden, um die Babys zu bewundern ? Oder wenn wir an Sonntagen die Pärchen und Familien auf unseren einsamen Gängen an uns vorüberziehen lassen ? Oder wenn wir im Film, im Theater und in der Literatur dauernd auf das Thema "Liebe" gestoßen werden, von der wir ausgeschlossen sind ? Ich kenne viele einsame Frauen, die sich tapfer durch ihr als sinnlos empfundenes Leben schlagen und die ungezählte Nächte und Sonntage einsam verweinen. Daß kein Mensch diese Folge des Krieges beseitigen kann, weiß ich. Mit Bitterkeit erfüllt es uns aber, daß keine verheiratete Frau unsere Not versteht und daß die Öffentlichkeit von ihr einfach keine Kenntnis nehmen will. Haben Sie doch wenigstens einmal den Mut, auszusprechen, was ist ! Schon das wäre ein kleiner Trost."

    (Frau Irene): "Den Vorwurf, daß ich Ihr Problem noch nicht angeschnitten habe, kann ich nicht ohne weiteres einstecken. Ich habe schon mehrfach den Appell an die für das Bauen verantwortlichen Stellen gerichtet, daß sie endlich einmal an die alleinstehenden Frauen denken und Wohnungen für sie bauen sollten. Damit wäre wenigstens die unwürdige Abhängigkeit von Zimmervermietern aufgehoben. Ich bin auch schon dafür eingetreten, daß unverheiratete Frauen von einem bestimmten Alter an nicht mehr in die Steuergruppe 1 eingestuft werden dürften.
    Es gibt keine befriedigende Lösung der Probleme des Frauenüberschusses. Höchstens könnten die einsamen Frauen versuchen, sich untereinander einen Bekanntenkreis zu schaffen, der die Einsamkeit ein wenig erleichtern würde. Und natürlich sollten sich alle Frauen, die glauben, daß sie nicht heiraten werden, frühzeitig Berufe suchen, die mit einer Arbeit an jungen Menschen verbunden sind. Sie sollten also Lehrerin, Fürsorgerin, Kindergärtnerin werden. Das alles sind freilich nur kleine unvollkommene Linderungen, die Not der einsamen Frau wird weiterbestehen. Es gibt wirklich- ich muß es sagen- unlösbare Probleme."

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    Samstag, 10. Juli 2021, 15:25

    Das Drama der alleinstehenden Frauen in den 50er und 60er Jahren

    Der obenstehende Brief an "Frau Irene" hat das Thema bereits grob umrissen. Alleinstehende Frauen waren auch mir als Kind der 60er Jahre kein unbekanntes Phänomen. So wohnte in unserem Zweifamilienhaus um 1967/68 eine alleinstehende Dame, vielleicht um die fünfzig Jahre alt, in einem teilweise möblierten Zimmer direkt neben unserer Wohnung. Sie arbeitete in der Fleischerei am Ende unserer Straße, gab sich kühl distanziert und wurde von meiner Mutter in unserem Familienkreis gelegentlich etwas despektierlich als "alte Jungfer" tituliert. Daß es sich dabei kriegsbedingt um ein Massenphänomen des Frauenüberschusses insbesondere der Zehner- und Zwanzigergeburtsjahrgänge gehandelt hat, war mir damals überhaupt nicht bewußt.
    Das Schicksal der zwei Millionen: keinen Ehemann zu haben, galt für alleinstehende Frauen in den 50er/60er Jahren durchaus noch als gesellschaftlicher Makel, der Nachteile in vielen Lebensbereichen nach sich zog. Sei es, daß sie nicht zu gesellschaftlichen Ereignissen eingeladen wurden oder Schwierigkeiten bei der Suche nach einer geeigneten Wohnung hatten. Wer durch den kriegsbedingten Männermangel unverheiratet war (oder auch einfach nicht heiraten wollte, auch das gab es zu dieser Zeit), hatte eben "keinen abbekommen" und wurde schon in verhältnismäßig jungen Jahren (meist jenseits der dreißig) zur "alten Jungfer" abgestempelt. Außerdem sollte den Frauen, von denen viele insbesondere in den ersten schwierigen Nachriegsjahren durchaus "ihren Mann" gestanden hatten, in dem restaurativen Jahrzehnt der 50er Jahre vermittelt werden, daß ihre tragende Rolle vorwiegend in Familie, Heim und Herd zu finden sei. Für viele alleinstehende Frauen war dies ein Teufelskreis, aus dem sie in diesem Zeitrahmen oft nicht wieder herausfanden, und die viele damalige Lebensschicksale in Einsamkeit und Verbitterung enden ließen.