An zwei Ereignisse aus meiner fruehen Kindheit erinnere ich mich noch gut.
Ich gehoerte zu den gluecklichen Baby Boomern, die keinen Lebertran mehr einnehmen mussten, stattdessen bekam ich Sanostol.
Wir lebten damals in Treuchtlingen im Altuehltal, das war in Franken.
Mein Vater arbeitete als Arzt im Krankenhaus, das gegenueber von unserer Wohnung am Fusse des Schlossbergs lag (wir wohnten in einem Zweifamilienhaus, das heute noch dort steht).
Auf der anderen Seite lag das Haus des Oberfoersters, heute ein Kulturzentrum. Oben auf dem Huegel war eine Burgruine, die in den 80er oder 90er Jahren wieder renoviert worden ist. Von dort liessen wir Kinder einmal im Jahr (ich vergass, was der Anlass war) Luftballons mit unseren Adressen fliegen, die es manchmal bis in die Tschechoslowakei schafften. Hin und wieder schrieb uns ein tschechisches Kind zurueck.
Meine Eltern mussten in den Ort einkaufen gehen, und liessen mich im eingezaeunten Garten im Sandkasten zurueck. Offenbar gefiel mir das nicht, denn ich ging zurueck ins Haus und leerte mit vielen Schlucken die Sanostolflasche. Als meine Eltern nach einer Weile wiederkamen und die leere Flasche entdeckten, waren sie sehr besorgt, aber es hat mir offenbar nicht geschadet.

Die andere Geschichte muss sich auch etwa zu der Zeit abgespielt haben.
Ich war noch nicht 6 Jahre alt, ging also noch in den Kindergarten (ich wurde 1961 eingeschult und spaeter am Bodensee nochmal 1962 mit 7 Jahren). Ich konnte also weder buchstabieren, noch war ich mit Zahlen vertraut.
Aber mein Vater hatte mir fuer Notfaelle (falls meine Mutter einkaufen gegangen ist und mir etwas passiert) seine Telefonnummer im Krankenhaus mit Hilfe von Maerchencharakteren an die Zahlen unseres schwarzen Bakelittelefons geklebt. Ich liebte Grimm's Maerchen und kannte jedes Maerchen recht gut. Das machte sich mein Vater zunutze, und klebte die Maerchencharaktere in der chronologischen Reihenfolge, in der sie im Maerchen auftreten, neben die Zahlen. Ich vermute, es war eine kurze Telefonnummer und keine Zahl kam doppelt vor.
Eines Tages sass ich also allein im umzaeunten Garten und spielte. Da sah ich einen kleinen Jungen, der von der anderen Strassenseite (vom Krankenhaus her kommend) vor einem LKW die Strasse ueberqueren wollte, aber der LKW erfasste ihn.
Ich rannte ins Haus, waehlte die Nummer meines Vaters in der chronologischen Reihenfolge der Maerchencharaktere und stiess mit wenigen Worten hervor, was passiert ist. Ein oder zwei Minuten spaeter sah ich meinen Vater aus dem Krankenhaus zum LKW rennen, er hob den kleinen Jungen auf, brachte ihn in den OP, operierte ihn und rettete ihm das Leben.
Der kleine Junge lag lange Zeit im Krankenhaus. Ich durfte ihn hin und wieder besuchen.
Seine Mutter schenkte mir einen grossen Teddybaer und bedankte sich bei mir, dass ich ihrem Sohn das Leben gerettet habe. Ich sagte zu ihr, dass mein Vater ihm das Leben gerettet hat.